Parteiausschluss Clements:Chronologie der Eskalation

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Um Tipps an die Genossen war Wolfgang Clement nie verlegen. Schon vor der Wahlempfehlung gegen Ypsilanti hat der Sozialdemokrat regelmäßig die Parteilinie kritisiert.

Es war das sprichwörtliche I-Tüpfelchen: Mitten im hessischen Landtagswahlkampf rief Wolfgang Clement indirekt dazu auf, die SPD-Spitzenkandidatin Andrea Ypsilanti wegen ihrer Energiepolitik nicht zu wählen. Doch bereits zuvor hatte er immer mal wieder kräftig getreten gegen die Genossen. Ein Rückblick

Nie um einen Ratschlag an die Genossen verlegen: Wolfgang Clement (Foto: Foto: AP)

21. Dezember 2007 Aufgeschwungen zu den Ätzereien hat sich der einstige Wirtschaftsminister im vergangenen Dezember im Gespräch mit sueddeutsche.de: Da moniert er, die SPD würde zu sehr Lafontaines Linken hinterherlaufen. Er warnt die Parteispitze vor einem Schwenk nach links und droht für den Fall, dass seine Worte in den Wind geschlagen würden, gleich mit einem Austritt. "Die Union folgt der SPD und die wiederum ist sehr fixiert darauf, was diese Lafontaine- und Gysi-Truppe macht. Deren Inhalte haben aber mit sozialdemokratischer Politik nichts zu tun."

Ihn beunruhigten die "Rückschritte" in der Arbeitsmarktpolitik, klagt Clement. "Jetzt zeigt sich, dass die erstbeste Gelegenheit einer leichten wirtschaftlichen Erholung genutzt wird, um Teile der Agenda zurückzunehmen. So können wir die Menschen jedenfalls nicht gewinnen." Der ehemalige Wirtschaftsminister stellt sich klar gegen einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn - und will die Globalisierung als produktiven Prozess verstanden wissen. "Aber ausgerechnet Sozialdemokraten argumentieren nach innen so, als wäre die Globalisierung die ärgste Bedrohung seit dem Zweiten Weltkrieg. Da beginnt das Problem", jammert er über die Genossen vom alten Schlag.

Zahlreiche Genossen hatten zu diesem Zeitpunkt in dem wirtschaftsfreundlichen Clement längst einen der Hauptschuldigen am Niedergang der SPD ausgemacht.

14. Januar 2008 Einen knappen Monat später legt Clement nach: Die Bundesregierung und die SPD betreiben eine "tödliche" Wirtschaftspolitik, die dem Land erheblichen Schaden zufügen könnte, sagt er der Financial Times. Clement beschuldigt seine Partei, sie "verspiele die Erfolge vergangener Reformen". Der Postmindestlohn sei "ein riesiger Fehler". Das Wirtschaftsblatt druckt die Äußerungen des Bundesministers a. D. prompt auf der Titelseite.

20. Januar 2008 Wenige Tage später, mitten im hessischen Landtagswahlkampf, greift Clement die SPD-Spitzenkandidatin Andrea Ypsilanti wegen ihres energiepolitischen Kurses an. "Deshalb wäge und wähle genau, wer Verantwortung für das Land zu vergeben hat, wem er sie anvertrauen kann - und wem nicht", schreibt der Ex-Minister in einer Kolumne für die Welt am Sonntag. Zahlreiche SPD-Politiker werfen Clement unsolidarisches Verhalten vor. Clement, der im Aufsichtsrat des Stromkonzerns RWE Power sitzt, wird als Lobby ist der Atomwirtschaft kritisiert. RWE betreibt in Hessen das Atomkraftwerk Biblis. Dieses will die hessische SPD abschalten.

Am Folgetag bereiten erste Ortsvereine in Bochum, wo Clement seit 1970 SPD-Mitglied ist, ein Parteiausschlussverfahren vor. "Wir haben es zur Kenntnis genommen, eingeordnet und abgeheftet", kommentiert der SPD-Vorsitzende Kurt Beck lapidar das Verhalten Clements. Bei der hessischen Landtagswahl verfehlt SPD-Kandidatin Andrea Ypsilanti knapp das Ziel, die CDU als stärkste Partei abzulösen.

23. Januar 2008 Clement wiederholt seine Kritik an Ypsilanti. In der ARD betont er, sie nicht wählen zu wollen. Fünf Tage später wird unter Führung des SPD-Ortsvereines Bochum-Hamme ein Parteiausschlussverfahren gegen Clement in die Wege geleitet. SPD-Chef Kurt Beck rät bei einer Rede auf dem Unterbezirks-Parteitag der Bochumer SPD von einem solchen Verfahren ab.

23. April 2008 Die Schiedskommission der Bochumer SPD erteilt Clement eine Rüge. Wegen Verstoßes gegen die Regeln der innerparteilichen Solidarität werde Clement verwarnt, aufgrund seiner Verdienste um die Partei aber nicht ausgeschlossen, heißt es zur Begründung. Clement und mehrere SPD-Ortsvereine kündigen an, gegen die Entscheidung Berufung einzulegen.

12. Juli 2008 In Begleitung seines Rechtsanwalts, Ex-Bundesinnenminister Otto Schily, nimmt Clement in Düsseldorf an einer Anhörung vor der Landesschiedskommission teil. Fast vier Stunden wird hinter verschlossenen Türen beraten. Es fällt keine Entscheidung. "Die SPD braucht kantige Persönlichkeiten wie Clement, die sich auch mal provokant äußern", sagt Schily. Die Basis hält dagegen: "Der Clement ist ein Wiederholungstäter. Der soll seinen Mund halten, oder er geht aus der Partei raus", wettert der SPD-Vorsitzende von Bochum-Hamme, Rudolf Malzahn.

31. Juli 2008 Clement wird aus der NRW-SPD ausgeschlossen. Er will gegen das Urteil der Landesschiedskommission aber Revision einlegen, erklärt sein Rechtsbeistand Otto Schily in einer schriftlichen Stellungnahme. Schily plädiert dabei an die Geschichte der Partei und sagt, diese solle sich "ernsthaft die Frage stellen, wer der Partei wirklich schadet."

2. August 2008 Zwei Tage nach Verkündung der Entscheidung wendet sich Clement an die Bundesschiedskommission der SPD. Er fordert sie auf, das Urteil aus Nordrhein-Westfalen zurück zu nehmen. "Ich bin Sozialdemokrat und werde das auch bleiben", sagt Clement. Zuvor hatten sich führende SPD-Politiker hinter den vom Ausschluss bedrohten Partei-Kollegen gestellt: Finanzminister Peer Steinbrück und Vizekanzler Frank-Walter Steinmeier fordern Clements Verbleib in der SPD.

3. August 2008 Die SPD-Ortsvereine, die Clements Ausschluss gefordert hatten, bieten dem früheren Wirtschaftsminister einen Kompromiss an. Sie erklären in einem Brief an Partei-Chef Kurt Beck, dass sie mit Clements Verbleib in der SPD einverstanden seien - ihnen genüge stattdessen eine Rüge der Bundesschiedskommission.

Im Gegenzug erwarten die Ortsvereine von Clement, "dass er erklärt, seine parteischädigenden Aufrufe zur Nichtwahl der SPD in Zukunft zu unterlassen". Clement reagiert sofort auf dieses Angebot - er lehnt "irgendwelche Vergleichsvorschläge" vehement ab. Nun liegt die Entscheidung über Clements politische Zukunft beim Bundessschiedsgericht.

4. August Die SPD-Spitze diskutiert in einer Telefonkonferenz über den Fall Clement. Ergebnisse des Gesprächs zwischen Präsidium und Parteivorstand werden am Mittag in einer Pressekonferenz bekannt gegeben.

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