Parlamentswahl in Russland:"Wahl ohne Auswahl"

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Der Sieger steht bereits fest: die Putin-Partei "Einiges Russland", die bei der Duma-Wahl eine Zwei-Drittel-Mehrheit anstrebt. Die Klagen über Manipulationen und Einschüchterungen nehmen zu - etwa von Garri Kasparow.

In der Russischen Föderation sind 105,6 Millionen Wähler aufgerufen, ein neues Parlament zu wählen. Insgesamt bewerben sich Kandidaten von elf Parteien um die 450 Sitze in der Duma. Laut Umfragen kann die Kremlpartei "Einiges Russland" mit Präsident Wladimir Putin als Spitzenkandidat wieder mit einer Zweidrittelmehrheit in der Duma rechnen. Mit Ausnahme der Kommunisten dürften alle anderen Oppositionsparteien an der Sieben-Prozent-Hürde scheitern.

Dabei zeichnete sich landesweit eine höhere Beteiligung als vor vier Jahren ab, als 56 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme abgaben. Offiziellen Angaben dürfte die Beteiligung um die 60 Prozent liegen. Erste Ergebnisse wurden kurz nach Schließung der letzten Wahllokale um 19 Uhr mitteleuropäischer Zeit erwartet.

Kasaparow beklagt "Atmosphäre der Angst"

Der Oppositionspolitiker Garri Kasparow bezeichnete die Abstimmung als "von vornherein unfair". Die Abstimmung wurde "von einer Atmosphäre der Angst beherrscht, in der Wahlkabinen entfernt wurden, so dass eine geheime Abstimmung unmöglich ist", sagte der frühere Schachweltmeister der dpa in Moskau.

Nach Darstellung von Kasparow wurde etwa Krankenhauspatienten mit einem Abbruch ihrer Behandlung gedroht, falls sie nicht für die Putin-Partei "Einiges Russland" stimmen. "Man kann gar nicht alles aufzählen. Es ist eine Wahl ohne Auswahl."

Beobachter der Oppositionsparteien "Union Rechter Kräfte" (SPS) und der Kommunisten beklagten, mancherorts keinen Zugang zu Wahllokalen erhalten zu haben.

Keine Kabinen im Wahllokal

Die Menschenrechtsorganisation "Golos" sprach von mehr als 1000 Rechtsverstößen. So hätten Soldaten in Kasernen unter Aufsicht wählen müssen und in vielen Wahllokalen habe es keine Kabinen gegeben, um unbeobachtet zu wählen.

In einigen Bezirken habe die Partei von Präsident Putin Geld an Wähler bezahlt, die für sie gestimmt hätten, erklärte Alexander Kynew von "Golos". In Pestowo seien den Wählern Stimmzettel ausgehändigt worden, auf denen "Einiges Russland" bereits angekreuzt gewesen sei. Ferner seien mancherorts noch am Wahltag Kundgebungen abgehalten worden, obwohl dies dem Gesetz widerspreche.

An dem bitterkalten Wahlsonntag wurden in Moskau 15 Homosexuelle verhaftet. "Wir haben nichts Verbotenes getan und sind nur wählen gegangen", sagt der Organisator der verbotenen Schwulen-Demo, Nikolaj Aleksejew, dem Radiosender "Echo Moskwy". Die Männer und Frauen wollten auf die Wahlzettel "Nein zu Homophobie" schreiben.

Die fünfte Parlamentswahl nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion findet unter strengen Sicherheitsvorkehrungen statt. Fast an jeder Ecke stehen Polizisten und Soldaten. Erstmals koordiniert der FSB laut Medienberichten ihren Einsatz.

An Bahnhöfen und in Metrostationen verstärken Spürhunde die Polizeipräsenz, in jedem Wahllokal halten mindestens vier Sicherheitskräfte Wache. Von einem nie dagewesenen Sicherheitsaufgebot spricht die Zeitung Kommersant. Fast eine halbe Millionen Mitarbeiter haben die Behörden abkommandiert, um Störungen oder Schlimmeres zu verhindern.

Mit Botschaften aufs Handy und einer Sondererlaubnis für Obdachlose bemühten sich die Behörden, die Beteiligung an der Dumawahl zu steigern. Auch wurden Menschen auf Busbahnhöfen per Lautsprecher dazu aufgefordert, ihre Stimme abzugeben.

Siegessicherer Putin

Präsident Wladimir Putin, der bei der Präsidentschaftswahl im März 2008 nach zwei Amtszeiten nicht mehr antreten darf, zeigte sich bei der Abstimmung in Begleitung seiner Frau Ljudmila siegessicher. "Gott sei Dank, dass der Wahlkampf vorbei ist", sagte der 55-Jährige beim Plausch mit anderen Wählern, bevor er und seine Frau in ein Restaurant mit sibirischen Spezialitäten verschwanden.

Doch nicht alle sind auf Putins Linie. "Die Funktionäre von 'Einiges Russland' verhalten sich heute wie die Kommunisten damals", sagt ein Taxifahrer. Das Staatsfernsehen präsentiert einen freudenstrahlenden Putin. Die Bilder zeigen den gesamten Tag, wie eifrige Wähler an die Urnen strömen und mancherorts die Wahlbeteiligung auf 100 Prozent wie zu Sowjetzeiten steigen lassen.

Es werde alles getan, dass auch der Kosmonaut Juri Malentschenko auf der Internationalen Raumstation (ISS) und die Matrosen auf hoher See ihre Stimme abgeben, melden Medien. Am Nachmittag erreichen die Motivationsversuche für die Wähler einen vorläufigen Höhepunkt: Trotz eines leichten Erdbebens im Inselstaat Trinidad und Tobago habe die Wahl plangemäß organisiert werden können. "Die drei dort lebenden Russen konnten ihre Stimme abgeben", sagt der Nachrichtensprecher.

© dpa/Reuters/mako - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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