Palästina:Alle drohen mit Gewalt

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Die Spannungen in den palästinensischen Gebieten wachsen: Tausende teils bewaffnete Fatah-Anhänger gingen auf die Straße, die al-Aksa-Brigaden kündigte den Waffenstillstand mit Israel auf, und auch die Hamas droht Israel mit mehr Gewalt.

Tausende zum Teil bewaffnete Anhänger der unterlegenen Fatah-Partei forderten am Samstag den Rücktritt der Parteispitze und drohten allen Fatah-Politikern mit dem Tod, sollten sie sich an einer Hamas-geführten Regierung beteiligen.

Anhänger der al-Aksa-Brigaden posieren mit Waffen, Fahnen und einem Bild von Jassir Arafat (Foto: Foto: AP)

In Ramallah bestiegen Bewaffnete das Dach des Parlamentsgebäudes und schossen in die Luft.

Hunderte Fatah-Aktivisten drangen dann auf das Gelände des Amtssitzes von Präsident Mahmud Abbas vor, um am Grab seines Vorgängers Jassir Arafat zu beten. "Abu Amar, wir verteidigen dich mit unseren Seelen", riefen sie mit Bezug auf den Kampfnamen Arafats. Sicherheitskräfte des Präsidenten schirmten den Marsch zum Grab Arafats ab.

"Es wird Überraschungen geben"

Mehrere Dutzend bewaffnete Polizisten stürmten ein Parlamentsgebäudes in Gaza-Stadt und forderte Gerichtsverfahren gegen Hamas-Mitglieder, die für den Tod von Polizisten verantwortlich seien. Die meisten Sicherheitskräfte gehören der Fatah an und fürchten, unter einer Hamas-Regierung ihre Arbeit zu verlieren.

In Nablus im Westjordanland marschierten rund 2000 Fatah-Anhänger durch die Straßen, angeführt von bewaffneten Mitgliedern der Al-Aksa-Märtyrerbrigaden. Die al-Aksa kündige den Waffenstillstand auf, erklärte ein Sprecher, Nasser Haras. "Es wird bald Überraschungen geben", kündigte Haras an.

In Bethlehem besetzten rund 400 Fatah-Aktivisten die Parteizentrale, forderten den Rücktritt des Zentralkomitees und warnten alle Fatah-Politiker vor einer politischen Zusammenarbeit mit der Hamas.

Jeder, der sich an einer Regierung der Hamas beteilige, werde erschossen, erklärte ein Bewaffneter in Tulkarem, wo rund 200 Aktivisten auf die Straße gingen.

Das Zentralkomitee der Fatah hatte am Freitag sechs Mitglieder ausgeschlossen, die bei der Parlamentswahl als unabhängige Kandidaten angetreten waren und verloren hatten. Das Auto eines dieser Politiker wurde am Samstag in Dschenin in Brand gesetzt.

"Recht auf Gegenwehr gegen Israel"

In Chan Junis im Gazastreifen griffen Anhänger der Hamas eine Polizeipatrouille an und verletzten nach Polizeiangaben zwei Beamte. Erst wenige Stunden zuvor waren dort bei einer Schießerei zwei Polizisten und ein Hamas-Mitglied verletzt worden. Einer der Polizisten lag im Koma.

Israel kündigte derweil an, die Reisefreiheit von Abgeordneten der Hamas zu beschränken. Die Parlamentarier verträten "eine Organisation von Mord und Terror, die für unsere Zerstörung betet", sagte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums. Ranghohen Vertretern der Autonomiebehörde hat Israel bislang einen besonderen Status für die Reise zwischen Gazastreifen und Westjordanland eingeräumt.

Der frühere israelische Ministerpräsident Schimon Peres hält Verhandlungen mit der Hamas nur für möglich, wenn die Organisation dem Terrorismus abschwört. Die Hamas müsse entscheiden, ob sie rückwärts gehen wolle auf dem Weg von Terror und Gewalt oder vorwärts auf dem Weg des Friedens, sagte der 82-Jährige.

Der politische Führer der Hamas, Khalid Meshal, kündigte unterdessen eine Fortsetzung des Widerstands gegen Israel an. Die Hamas habe drei Ziele, sagte Meshal in Damaskus: eine Reform der Autonomiebehörde, die Verstärkung des Widerstandes gegen Israel und die Errichtung eines palästinensischen Staates.

So lange die Palästinenser unter israelischer Besatzung leben müssten, hätten sie ein Recht auf Gegenwehr, sagte Meshal. Zugleich erklärte er, die Hamas sei zur Zusammenarbeit mit weiteren Parteien und Gruppen in der Autonomiebehörde bereit. Bei der Parlamentswahl am Mittwoch erzielte die Hamas 76 der 132 Mandate.

Fatah lehnt Zusammenarbeit ab

Außerdem forderte er die EU-Staaten dazu auf, trotz des Wahlsiegs der radikal-islamischen Bewegung weiter Hilfe an die Palästinenser zu zahlen. "Es ist genug, dass Ihr (die Europäer) für die Sackgasse verantwortlich seit, in der die palästinensische Sache steckt (...). Bestraft das palästinensische Volk nicht, weil es frei gewählt hat", sagte Meshal.

Die EU hat indirekt die Fortsetzung der Hilfszahlungen davon abhängig gemacht, dass sich Hamas der Friedenspolitik verpflichtet. Auch US-Präsident George W. Bush hat gedroht, den Palästinensern den Geldhahn zuzudrehen, sollte sich die Hamas nicht von ihrem gewaltbereiten bewaffneten Arm trennen.

2005 flossen nach Angaben von EU-Diplomaten Hilfen in Höhe von mehr als 500 Millionen Euro aus EU- Mitgliedsstaaten an die Palästinenser, aus den USA nach Angaben des Außenministeriums in Washington rund 380 Millionen Dollar (314 Millionen Euro).

Zu einer Aufgabe des bewaffneten Kampfes äußerte sich Meshal nicht. Der Widerstand gegen die israelische Besatzung sei das legitime Recht der Palästinenser. Seine Bewegung sei sich der "Unwägbarkeiten der gegenwärtigen Situation" bewusst, sagte der Hamas-Führer. Sie "strecke daher den Brüdern der Fatah-Bewegung die Hand entgegen". Die bisher regierende Fatah, die bei den Wahlen am Mittwoch eine schwere Niederlage erlitt, hat lehnt bisher eine Zusammenarbeit mit Hamas ab.

In seiner ersten Reaktion auf das Wahlergebnis sprach Syrien von einer "neuen Ära" in der Region und der gesamten Welt. Die Palästinenser hätten den Weg des Widerstandes gewählt, schrieb die amtliche Zeitung Tischrin am Samstag auf ihrer Titelseite.

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