Ostermärsche:Stell dir vor, es ist Frieden, und keiner geht hin

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Was es für eine Protestbewegung bedeutet, wenn auch der amerikanische Präsident ihren Traum träumt - und damit der ewig junge Friedensfeind ausfällt.

M. Drobinski

Es ist, als würden sie aus dem Acker wachsen, die 96 Kreuze an der Hunsrück-Höhenstraße - grobe Stämme und Querbalken, gepflanzt während der Kar- und Ostertage 1984, Zeichen des Todes und des Lebens zugleich. 96 US-amerikanische Cruise missiles, die auch nach tausend Kilometern Tiefflug genau ihr Ziel treffen, sollen zwischen Bell und Hasselbach gelagert werden, bestückt mit Atombomben, genug, einem ganzen Land den Tod zu bringen.

Millionen für den Frieden werden es sicherlich in Deutschland bei den diesjährigen Ostermärschen nicht. Vielleicht kommen insgesamt 50.000 Menschen, bei Regen vermutlich nur 30.000. (Foto: Foto: dpa)

Die Menschen der Region protestieren dagegen, mit Wut und Phantasie. Durchs ganze Land ziehen Ostermärsche; was am Karfreitag 1958 in London auf Initiative des Philosophen Bertrand Russell als Protest gegen die Wiederbewaffnung begann, ist nun, 1984, eine Massenbewegung. 600.000 Menschen versammeln sich allein in neun deutschen Großstädten. Ihr Traum: eine Welt ohne Atomwaffen.

25 Jahre ist das her, und der Traum der Friedensbewegten hat einen neuen Fürsprecher gefunden, wortgewaltig wie einst Martin Luther King. "Als Nuklearmacht, als einzige Atommacht, die diese Nuklearwaffe eingesetzt hat, haben die Vereinigten Staaten eine moralische Verpflichtung, zu handeln", hat der Mann in Prag gesagt, und: "Ich möchte heute Amerikas Bereitschaft erklären, den Frieden und die Sicherheit in einer Welt ohne Atomwaffen anzustreben."

Bei Regen kommen 30.000

Er heißt Barack Obama und ist Präsident der Vereinigten Staaten, jenes Landes also, gegen dessen Politik die Friedensbewegung über Jahrzehnte hinweg demonstriert hat. Deren Vertreter sind so verblüfft, dass sie sich als Paten des Präsidenten sehen: "Auf diesen Augenblick haben wir lange hingearbeitet", sagt Johannes Schnettler von der katholischen Friedensbewegung Pax Christi, und die Pazifisten von der Deutschen Friedensgesellschaft-Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen erklären: "Der US-Präsident folgt der Aufforderung der Deutschen Friedensgesellschaft." Die US-Regierung fällt als alter ewig junger Friedensfeind aus, das bringt die Bewegung in Schwierigkeiten.

Davon hat sie ohnehin genug. An diesem Donnerstag beginnen traditionellerweise die Ostermärsche, 70 davon gibt es im Land, sie führen zur Bombenabwurf-Fläche "Bombodrom" in der Wittstocker Heide und nach Traunstein in Oberbayern, nach Berlin wie nach München: Die Nato, dieses Kriegsbündnis, soll sich auflösen, lautet die wichtigste Forderung der Friedensgruppen. Vielleicht kommen insgesamt 50000 Menschen, bei Regen vermutlich nur 30.000; die größte Veranstaltung, der Protest gegen den Nato-Gipfel in Straßburg, ist bereits vorbei. Hier kamen 16.000, die 25.000 Polizisten gegenüberstanden, 1000 Gewalttäter randalierten am Rande, zum Ärger der Friedlichen.

Dabei war der Krieg den Deutschen noch nie so nahe wie in diesen Jahren: Deutsche Soldaten stehen in Afghanistan und im Kosovo, die Marine patrouilliert am Horn von Afrika. 75 Bundeswehrangehörige sind inzwischen bei diesen Einsätzen gestorben, Deutsche Soldaten werden getötet, und sie töten auch. Zieht man alle Relativierungsfloskeln ab, dann bleibt: Sie führen Krieg.

Auf die Straße gehen die Leute nicht

Vielen Deutschen ist das nicht recht, inzwischen verweigert auch fast die Hälfte der tauglich gemusterten Soldaten den Kriegsdienst. Doch für den Frieden auf die Straße gehen die Leute nicht. Kommen tote Soldaten im Zinksarg heim, regieren sie mit Trauer, Angst, Betroffenheit, aber es entlädt sich kein Zorn. Der reale Krieg des Jahres 2009 ist den Deutschen ferner als die abstrakte Bedrohung durch den Atomtod im Jahr 1984. Und dann redet der amerikanische Präsident nicht mehr wie George W. Bush, sondern als wäre er bei Mahatma Gandhi in die Lehre gegangen.

Die Zeit der Ostermärsche ist deshalb nach Ansicht des Chemnitzer Politikwissenschaftlers Florian Hartleb vorbei. "Das apokalyptische Szenario fehlt", sagt er der Presseagentur dpa, und weil das Pathos der Apokalypse nicht mehr zusammenschweißt, sei die Friedensbewegung in viele verschiedene Gruppen und Grüppchen zerfallen.

Die traditionellen Protestierer altern

Die traditionellen Protestierer altern, die Globalisierungskritiker von Attac haben ihr Erbe angetreten, sie sind jung, organisieren sich übers Internet, sie reiben sich am weltweiten Wirtschaftssystem, wozu dann irgendwie doch, aber nicht in der Hauptsache, die Rüstung und die Nato gehören, wie der Umweltschutz und die Geschlechtergerechtigkeit. Das Ziel des Attac-Demonstranten ist aber der Gipfel der G-8-Staaten; 96 Kreuze auf einem Acker aufzustellen, das wäre ihm fremd.

Im Hunsrück gibt es auch gar keine Kreuze mehr aufzustellen. 1986 demonstrierten hier noch einmal 200000 Menschen, ein Jahr später beschlossen die USA und die Sowjetunion, ihre landgestützten Mittelstreckenraketen zu vernichten. So verschwanden auch die mittlerweile mehr als 60 Atomwaffen aus Hasselbach; auf der Pydna, im ehemaligen Depot, finden heute Techno-Partys statt. Drei der 96 Kreuze sind an der Hunsrück-Höhenstraße stehengeblieben. Zur Erinnerung an den friedlichen Protest Hunderttausender Menschen - der auf seine Weise auch zum Ende des Ostblocks und der Ost-West-Konfrontation beigetragen hat.

© SZ vom 09.04.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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