Olympische Spiele:Der Traum von China

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"Eine Welt, ein Traum" - so lautet der Werbespruch für die Olympischen Spiele in Peking. Schön wär's gewesen. Tatsächlich kollidieren nun zwei Welten und zwei Träume.

Henrik Bork, Peking

"Eine Welt, ein Traum" - schön wär' es ja gewesen. Der Werbespruch für die Olympischen Spiele in Peking klingt nur noch wie ein Hohn. Tatsächlich kollidieren nun zwei Welten und zwei Träume, ein chinesischer und ein westlicher. Sie könnten verschiedener nicht sein. Es ist, als existierten zwei parallele Universen. Willkommen zur Schizolympiade.

Patriotische Chinesen und Chinas Führung haben lange ihren Traum vom Sommer 2008 gepflegt. (Foto: Foto: dpa)

Patriotische Chinesen und Chinas Führung haben lange ihren Traum vom Sommer 2008 gepflegt. Nun bilden sie sich ein, der Westen gönne ihnen die Olympischen Spiele nicht. Europäer und Amerikaner seien neidisch auf Chinas Aufstieg, glauben sie. Unter dem Dauerfeuer der Propaganda fühlt sich das chinesische Volk vom Westen in seinem Nationalstolz verletzt. Der Täter redet sich ein, das Opfer zu sein.

Trojanisches Pferd

Auch der Westen pflegte seinen Traum: Die Olympischen Spiele könnten ja wie ein Trojanisches Pferd sein, mit dessen Hilfe sich Demokratie nach China tragen lasse. Auch dieser Traum ist nun ausgeträumt. Die Bilder aus Lhasa haben aus China eine Karikatur des Bösen gemacht, die gar nicht mehr zur coolen Boom-Nation passen mag. Ob Visumsvergabe oder Waffenlieferung - jede Entscheidung aus China wird mit hoher Sensibilität aufgenommen, als stünden die olympischen Ideale auf dem Spiel.

In dieser Phase der Empörung leisten sich beide Seiten - der Westen und China - ihre Version von Realitätsverweigerung. Vernunft bleibt in der vorolympischen Erregung auf der Strecke. Stattdessen hat die Stunde der Besserwisser geschlagen.

Viele Chinesen gefallen sich wieder in ihrer historischen Opferrolle, bemühen Opiumkrieg und die Demütigung durch Kolonialtruppen. Dieser nationalistische Reflex ist verständlich, doch er ist untauglich. Koloniales Unrecht in der Vergangenheit kann nicht vor der Kritik schützen, die nun angesichts der Unterdrückung von Minderheiten in der Gegenwart berechtigt ist.

Im Westen ist das Lager geteilt in die Freunde des Dalai Lama und die Freunde Chinas. Die einen wollen Peking nur noch anfeinden. Die anderen hantieren mit dem unerträglichen Klischee, man solle China jetzt nicht kritisieren, weil Chinesen niemals "ihr Gesicht verlieren" dürften. Besonders diese Gruppe hat die Argumente nicht auf ihrer Seite: Niemand wird die Pressefreiheit abschaffen wollen, nur weil sie in China gerade nicht populär ist.

Nach Tagen der Aufwallung wäre es nun angebracht, wenn sich alle Beteiligten in dieser interkontinentalen Seifenoper abregten. Niemand missgönnt den fleißigen Chinesen ihren wirtschaftlichen Erfolg der vergangenen zwei Jahrzehnte. Was im Westen hingegen mit Recht kritisiert wird, sind die systematische Unterdrückung der Religionsfreiheit in Tibet und andere konkrete Missstände. Wer die chinesische Führung dafür kritisiert, ist nicht gegen China. Diese Form der Kritik erlauben sich selbstverständlich auch kluge Chinesen wie das ehemalige ZK-Mitglied Bao Tong. Der erkennt in dem Fiasko in Tibet und den Beschimpfungen des Dalai Lama Auswüchse des "Han-Chauvinismus".

Die Deutschen müssen sich fragen, warum ihr Chinabild so schwankt

Gerade die Europäer und dort besonders die Deutschen müssen sich hingegen selbstkritisch fragen, warum ihr Chinabild ständig zwischen zwei Extremen schwankt. Entweder sie bestaunen einseitig die Dynamik des "neuen China" mit seinen Formel-1-Rennen in Schanghai und den glitzernden Skylines. Oder sie verfallen in eine chinakritische Hysterie, fast schon in eine Angst vor China. Die Wahrheit liegt, wie so oft, in der Mitte.

China, diese sich rasant verändernde Entwicklungsdiktatur, hat tatsächlich zwei Gesichter. Man kann sich mit den Chinesen über ihre wirtschaftlichen Erfolge freuen. Man kann, immer noch, zu den Pekinger Sommerspielen fahren. Gleichzeitig kann und muss man die Verhaftungswelle in Tibet kritisieren und sich für die Freilassung von Dissidenten einsetzen. Weder irrationale Angst vor dem Milliardenvolk noch feiges Kuschen vor seinen Herrschern sind angebracht. Unrecht bleibt Unrecht, egal wie groß oder wirtschaftlich erfolgreich ein Land gerade ist.

Dialog mit dem Dalai Lama ist der einzig vernünftige Weg

Im Moment sitzt Chinas Regierung in einer selbstgestellten Falle. Sie hat den Chinesen einen neuen Nationalismus als Ersatzideologie für den diskreditierten Marxismus verkauft. Und deshalb glaubt sie, keinen Dialog mit dem Dalai Lama oder ihren westlichen Kritikern führen zu können, ohne die Unterstützung beim eigenen Volk zu verlieren. Doch Dialog bleibt der einzige, vernünftige Weg, egal wie schwer er ist. Wer die Wahrheit benennt, der zettelt noch lange keinen Konflikt an. Nur mit Ehrlichkeit lässt sich die Kluft zwischen China und dem Westen langfristig verringern. Diesen Teil seines modernen Staatenlebens muss Peking erst noch lernen.

Es hilft den Tibetern wenig, wenn China isoliert oder dämonisiert wird. Eher hilft mutiges Nachfragen, wie es der japanische Ministerpräsident Yasuo Fukuda unlängst demonstriert hat. China müsse "der Tatsache ins Auge sehen", dass Tibet ein internationales Thema geworden sei, hat der Japaner dem chinesischen Außenminister gesagt. Ein Thema für diese vielbeschworene "eine Welt" also. Ein Thema, bei dem China beweisen kann, ob es dieser Welt gewachsen ist.

© SZ vom 23.04.2008/dmo/odg - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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