NSU:"Immer wieder gegen die Wand gelaufen"

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Vier Bundestagsabgeordnete unterschiedlicher Fraktionen fordern einen zweiten NSU-Untersuchungsausschuss.

Von Stefan Braun, Berlin

Das Quartett hat alles versucht, was in seiner Macht stand. Die ungleichen vier, wie man sie nennen könnte, haben in den letzten anderthalb Jahren Sondersitzungen des Innenausschusses einberufen; sie haben Briefe an den Generalbundesanwalt geschrieben; sie haben Experten eingeladen und die Präsidenten von Verfassungsschutz und Bundeskriminalamt zum Gespräch gebeten. Geholfen hat ihnen das wenig. Mit ihren vielen offenen Fragen zur Mordserie des rechtsextremen Nationalsozialistischen Untergrund sind sie einfach nicht weitergekommen. "Am Ende", so erzählt es einer von ihnen, "sind wir immer wieder gegen die Wand gelaufen".

Aus diesem Grund sind sich Irene Mihalic von den Grünen, Petra Pau von der Linken, Eva Högl von der SPD und der Christdemokrat Clemens Binninger inzwischen einig, dass sie tun werden, was sie eigentlich vermeiden wollten: Sie werden nach der Sommerpause gemeinsam für einen zweiten NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages kämpfen. Beschlossen ist die Einsetzung des Ausschusses noch nicht. Das letzte Wort haben die Fraktionsspitzen, und sie werden erst im September wieder zusammenkommen. Aber wenn es nach Mihalic und Pau, Högl und Binninger geht, dann steht der Ausschuss "zu 99 Prozent" fest, wie es eine von ihnen ausdrückt.

Damit wird eintreten, was die deutschen Sicherheitsbehörden, allen voran die Verfassungsschützer, am liebsten verhindert hätten: Ihre Arbeit und ihre Versäumnisse rund um das NSU-Trio werden noch einmal unter die Lupe genommen. Zu viele Fragen sind unbeantwortet geblieben, zu wenig haben die Behörden aus Sicht der Bundestagsabgeordneten preisgegeben. "Wir wollen das Behördenhandeln an vielen Stellen noch mal hinterfragen. Und wir wollen das Umfeld des NSU ganz anders durchleuchten", erklärt Mihalic. Sie ist anders als ihre Kollegen im ersten Untersuchungsausschuss nicht mit dabei gewesen - aber genauso unzufrieden.

Da ist zum einen der Fall der Polizistin Michèle Kiesewetter, die am 25. April 2007 auf der Theresienwiese in Heilbronn erschossen wurde. Bis heute werde sie als Zufallsopfer behandelt, so beklagt es Mihalic. Der Unionsabgeordnete Binninger spricht in diesem Zusammenhang von "großen Zweifeln" an der bisherigen Darstellung. Nicht anders sehen das seine Kollegen.

Besonders misstrauisch sind die vier auch beim Mord in einem Internetcafé in Kassel im April 2006, der im Beisein eines Verfassungsschützers stattfand. Gleichwohl will dieser bis heute nichts von der Tat bemerkt haben. Und dann gibt es inzwischen zahlreiche Indizien, die auch die bisherige Darstellung vom Auffinden der getöteten Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt in einem ausgebrannten Wohnmobil in Zweifel ziehen. "All das wollten wir mit den Mitteln eines Innenausschusses aufklären - und mussten lernen, dass das ohne die Mittel eines Untersuchungsausschusses aussichtslos ist", erklärt Mihalic.

Daneben wollen die vier etwas tun, was sie beim ersten Mal vermieden hatten: Sie wollen auch V-Leute vorladen. Das könnte zwar unangenehm werden. Diese könnten versucht sein, ihre Auftritte als besonders öffentliche Bühne zu nutzen. Trotzdem sei es nötig, um deren Rolle und den Umgang mit ihnen besser einordnen zu können. "Wenn wir die Szene transparent machen wollen", sagt die Abgeordnete Mihalic, "dann dürfen wir davor nicht zurückschrecken."

© SZ vom 27.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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