Nino Burdschanadse:Kind der Sowjet-Nomenklatur

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Juristin Nino Burdschanadse führt Georgien bis zur Wahl.

Von Thomas Urban

(SZ vom 25.11.2003) — Eine Frau an der Spitze Georgiens - das hat es seit den Zeiten der legendären Königin Tamara während der georgischen Renaissance im 13. Jahrhundert nicht mehr gegeben. Das christliche Georgien ist traditionell eine orientalisch anmutende patriarchalische Gesellschaft mit vielen Männerriten.

Doch nicht nur die formale Emanzipation während der Sowjetzeit, sondern auch die Hinwendung der jungen Elite zum Westen haben das Feld für Nino Burdschanadse bereitet, die vor zwei Jahren bereits Parlamentspräsidentin geworden ist und nun bis zu den Neuwahlen die Pflichten des Staatsoberhauptes wahrnimmt.

Eigentlich ist die 39-jährige Juristin ein typisches Kind der Sowjetnomenklatura. Ihr Vater kannte Schewardnadse aus dem kommunistischen Jugendverband; nach der Unabhängigkeit Georgiens 1991 sicherte er sich das Monopol im Getreidehandel und gehört heute zu den reichsten Männern des Landes.

Seine Tochter studierte zu Sowjetzeiten am Institut für Internationale Beziehungen in Moskau, der Kaderschmiede der Jeunesse dorée der obersten KP-Funktionäre. Präsident Schewardnadse erkannte rasch ihr politisches Talent, sie übernahm führende Posten im Georgischen Bürgerbund, der Partei der ehemaligen Nomenklaturisten.

Doch an der Parlamentsspitze überwarf sie sich mit ihrem Mentor. Sie störte sich nicht nur an seinem mangelnden Reformwillen, sondern auch an der maßlosen Korruption und Vetternwirtschaft des Schewardnadse-Clans. Die Politikerin - sie spricht nicht nur Russisch, sondern auch exzellent Englisch - knüpfte Kontakte zu Vertretern westlicher Staaten, aus der Erkenntnis, dass Georgien ohne Hilfe kaum seine wirtschaftliche und politische Krise wird überwinden können.

Die Frage ist allerdings, ob sie auf diese Weise nur die Machtpositionen eines Teils der postkommunistischen Elite retten möchte oder ob sie echte, tiefgreifende Reformen anstrebt.

In der Öffentlichkeit tritt die stets elegant gekleidete Interimspräsidentin eher reserviert auf. Sie sagt selbst, in einer Männergesellschaft müsse sie sich auch hart präsentieren können. Ihre Stimme kann sehr schneidend werden. Doch bevorzugt sie leise Töne. Und im kleinen Kreis blitzt ihr Humor auf; sie hat ein ausgeprägtes Gefühl für Situationskomik mit einer leicht selbstironischen Note.

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