Niger:Das totgeschwiegene Sterben

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Seit mehr als einem halben Jahr gab es Warnungen vor dieser Katastrophe, doch selbst jetzt, wo sie eingetreten ist, reagiert fast niemand. Die internationale Gemeinschaft ignoriert die Hungersnot in Niger, wo 2,5 Millionen Menschen bedroht sind.

Von Michael Bitala

Seit mehr als einem halben Jahr gab es Warnungen vor dieser Katastrophe, doch selbst jetzt, wo sie eingetreten ist, reagiert fast niemand.

Im Sahelstaat Niger sterben Menschen an Hunger. Es sind vor allem Kinder.

Die Zwei- bis Dreijährigen sind kurz vor ihrem Tod so abgemagert und ausgezehrt, dass sie keine vier Kilo mehr wiegen. Angesichts dieser dramatischen Lage befürchten die Vereinten Nationen ein Massensterben.

Schon jetzt seien 150.000 Kinder stark unterernährt und hätten nur noch geringe Chancen zu überleben, sagte der stellvertretende UN-Generalsekretär und Nothilfekoordinator Jan Egeland.

Die Hungersnot ist in dem bettelarmen Wüstenstaat überall sichtbar: Tierkadaver von Kühen, Eseln, Ziegen und Kamelen liegen entlang den Sandpisten.

Die Felder liegen brach und Hunderte Dörfer sind verlassen. In den wenigen Hilfszentren, die es gibt, drängen sich Tausende Hungerflüchtlinge. Mitunter sind sie so abgemagert, dass sie kaum noch sprechen können. 2,5 Millionen Menschen, so die UN, sind gefährdet, darunter 800.000 Kinder. Und die Rate der extrem Unterernährten steigt rapide an.

Heuschreckenplagen und Dürre

Hilfsorganisationen machen die Internationale Gemeinschaft für die schwerste Hungersnot seit 20 Jahren verantwortlich. Sie habe auf die vielen Warnungen nicht reagiert.

In Niger gab es nämlich nicht nur eine lang anhaltende Dürre, Ende 2004 fielen auch noch riesige Heuschreckenschwärme über die Felder her und vernichteten einen großen Teil der erhofften Ernte. Die meisten Familien konnten nach Angaben von Unicef Vorräte für nur wenige Monate retten. Die Zahl der Kinder mit schweren Mangelerscheinungen habe sich deutlich erhöht.

Das ist zwar auch in anderen Sahelländern geschehen - in Senegal, in Mali oder im Tschad. Aber in Niger, einem der ärmsten Länder der Welt, sind die Konsequenzen am verheerendsten.

"Nach mehreren Jahren wirtschaftlicher Not haben die Menschen nicht mehr die Kraft, mit solchen Schocks umzugehen", sagt Henri Josserand, der für die Ernährungs- und Landwirtschaftorganisation der Vereinten Nationen (FAO) ein internationales Frühwarnsystem leitet.

"Das ist der Grund, warum die Krise in Niger viel schlimmer ist als in anderen Teilen der Sahelzone."

Schon im Mai warnte seine Organisation die internationale Gemeinschaft und bat um vier Millionen US-Dollar, damit Essen, Viehfutter und Saatgut als Soforthilfe verteilt werden könnten - doch lediglich Schweden reagierte und spendete 650.000 Dollar.

Ein ähnliches Problem hat auch das UN-Welternährungsprogramm WFP. Auch sein Appell an die internationale Gemeinschaft verhallte vor Monaten weitgehend ungehört. Es bat um 16 Millionen US-Dollar, um eine Hungersnot zu vermeiden. Bekommen hat es eine Million. Laut WFP sind nun 30 Millionen US-Dollar nötig. Doch auch davon seien bislang lediglich ein Drittel zugesagt und 3,8 Millionen wirklich schon gezahlt worden.

Mit jedem weiteren Tag des Zögerns werde die Hilfe teurer. Ende letzten Jahres, so Jan Egeland, hätte noch ein Dollar pro Kind ausgereicht, um eine Unterernährung zu vermeiden. Heute koste es 80 Dollar, ein verhungerndes Kind zu retten.

Regierung spielt Krise herunter

Warum sich die Weltgemeinschaft für die Hungersnot in Niger bislang nicht interessiert hat, warum nahezu kein Land Geld bereit gestellt hat, bleibt vorerst ein Rätsel.

Fest steht jedoch - und das wird von Hilfsorganisationen massiv kritisiert - dass vor zwei Wochen noch die G-8-Staaten auf ihrem Gipfel im schottischen Gleneagles verkündeten, gegen die Armut in Afrika kämpfen zu wollen.

Für die aktuelle Krise in Niger aber haben sie nicht einmal ein paar Millionen Dollar übrig, um Zehntausende vor dem drohenden Hungertod zu retten. Aber auch die Regierung Nigers, so die Vereinten Nationen, habe Schuld an der Krise. Sie habe nämlich die Not heruntergespielt und sich geweigert, kostenlos Lebensmittel zu verteilen.

Wie dringend notwendig die Hilfe nun ist, zeigen nicht nur die sterbenden Kinder. Auch den Bauern müsste dringend geholfen werden, damit sich die Situation zumindest zur Erntezeit im Oktober wieder entspannt. Es regnet nämlich seit Ende Juni zum ersten Mal seit langer Zeit, doch die wenigsten Landwirte haben Saatgut, um ihre Felder zu bestellen.

© SZ vom 22. 7. 2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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