Neuseeland:Mit Manchmal-Ministern an der Macht

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Die Parallelen zu Deutschland sind verblüffend: das gleiche Wahlsystem, die beiden Volksparteien Kopf an Kopf, eine Frau als Regierungschefin. Helen Clark hat down under allerdings eine ganz andere Koalition gezimmert. Zwei Minister wollen nur so halb in der Regierung sein - ganz nach Lust und Laune.

Bernd Oswald

Der Schlamassel begann mit dem Blick nach Deutschland. Anfang der 90er Jahre waren die Neuseeländer der "demokratischen Diktatur" (Finanzminister Michael Cullen) des Mehrheitswahlrechts nach britischem Vorbild überdrüssig. Zu stark war ihnen die Exekutive, zu schwach das Parlament. Also führten sie 1993 per Referendum ein personalisiertes Verhältniswahlrecht ein, das fast eine Kopie des deutschen Wahlrechts ist. 1996 wurde erstmals so gewählt. Seitdem gibt es bis zu acht Parteien im Parlament. Die Folge: bis auf eine Ausnahme nur noch Minderheitenregierungen.

Am 17. September wählten die Neuseeländer mit ähnlich engem Ausgang wie in Deutschland. Statt einer großen Koalition regiert in Wellington allerdings ein Vierer-Bündnis, bei dem man nicht so genau sagen kann, ob es sich um eine Mehrheits- oder eine Minderheitsregierung handelt. Eine offizielle Koalition ist die Labour-Partei von Premierministerin Helen Clark nur mit Jim Anderton's Progressives eingegangen, der Ein-Mann-Partei des Ex-Labour-Mitglieds.

Zwei Minister außerhalb des Kabinetts

Dann gibt es noch zwei Parteien, mit denen Premierministerin Clark schriftlich vereinbart hat, dass sie bei Vertrauensfragen und bei den großen Gesetzen mit der Regierung stimmen. Dafür hat Clark Winston Peters, dem Vorsitzenden der nationalistisch-populistischen Partei New Zealand First das Außenministerium und Peter Dunne von der Familien-Partei United Future New Zealand das Ministerium für Steuern anvertraut. Zusammen kommt diese Konstellation auf 61 Sitze, die knappstmögliche Mehrheit im 121-köpfigen Einkammern-Parlament.

Nun legen Peters und Dunne Wert auf die Feststellung, Minister außerhalb des Kabinetts zu sein. In Neuseeland entscheidet das Kabinett immer einstimmig. Dieser kollektiven Verantwortung wollen sich beide nur für ihr Ressort unterwerfen. Vor allem Außenminister Peters behält sich explizit vor, dass New Zealand First in anderen Bereichen gegen die Regierung stimmen kann. Peters und Dunne sind also Manchmal-Minister, die es aber im Großen und Ganzen aber gut mit der Regierung meinen und im Ernstfall mit ihr stimmen wollen.

Ärger wie mit der Schwiegermutter

Verteidigungsminister Phil Goff (Labour), der das Außenamt an Peters abtreten musste, erinnert diese sonderbare Konstellation an das Verhältnis zu seiner verstorbenen Schwiegermutter: "Als sie in unserem Haus wohnte, gab es Spannungen. Wir bauten ihr ein eigenes Haus, fortan hatte jeder seinen eigenen Raum. So kamen wir wieder gut miteinander aus und genauso ist es jetzt zwischen uns und New Zealand First."

Vize-Oppositionsführer Gerry Brownlee von der konservativen National-Partei wirft Clark dagegen vor, den Ministern Peters und Dunne einen Freibrief zur Regierungs-Kritik gegeben zu haben. Darin sieht er sogar einen Verfassungsbruch. Labour-Finanzminister Michael Cullen kontert damit, dass das Land sein Verfassungsverständnis schon öfter weiterentwickelt habe: "Gerade die Regierung wird mehr von Abkommen denn von Regeln beeinflusst."

Cullen, zugleich stellvertretender Premier, gesteht zwar ein, dass die neue Regierung keine stabile Mehrheit hat, sieht darin aber kein Problem. Das neue Wahlrecht sorge eben dafür, dass das Parlament an Einfluss gewinne und die Regierung an Macht verliere: "Nun ist es eben nicht mehr so klar, welchen Weg eine Gesetzvorlage nimmt und wie sie letzten Endes aussieht." Fakt ist, dass die Labour-Regierung, die seit 1999 an der Macht ist, im Parlament alle zentralen Reformprojekte durchbekommen hat.

Am vergangenen Mittwoch kam es zum ersten Ernstfall: Die Opposition stellte einen Misstrauensantrag, der mit 67:50 bei vier Enthaltungen abgelehnt wurde. Gegen den Antrag stimmten auch die Grünen, die die Regierung tolerieren werden. Es wird nicht das einzige Mal sein, dass Labour auf diese Stimmen zählen kann. Die clevere Clark hat eben auch an eine Notfall-Versicherung gedacht.

© SZ vom 28.11.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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