Neue Studie unter Grundschülern:Unter dem Durchschnitt

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Viertklässler sind schwach in Mathematik - im internationalen Vergleich rutscht Deutschland ab. Außerdem sind viele Kinder nicht fit für eine weiterführende Schule.

Von Susanne Klein und Ulrike Nimz, München

Jonas pflanzt je acht Bäume in fünf Reihen. Wie viele Bäume pflanzt er insgesamt? Warum beginnt Andreas schneller zu atmen, wenn er läuft? Mit Fragen wie diesen haben sich 4000 Schüler aus 204 Grund- und Förderschulen herumschlagen müssen, damit Antwort auf eine entscheidende gefunden werden kann: Was können Deutschlands Viertklässler in Mathematik und Naturwissenschaften? Alle vier Jahre geben die "Trends in International Mathematics and Science Study", kurz TIMSS, darüber Auskunft. Insgesamt lösten in den Jahren 2014 und 2015 gut 300 000 Grundschüler aus mehr als 50 Staaten und Regionen etwa 40 Minuten lang Probleme in Arithmetik oder Biologie. Und eines lässt sich sagen: Grund zur Euphorie gibt es aus deutscher Sicht nicht.

Vor allem in Mathematik haben viele deutsche Grundschüler Probleme, sie beherrschen gerade einmal die Grundrechenarten. Während osteuropäische Länder wie Ungarn, Tschechien oder Russland teils immense Fortschritte machten, rutschte Deutschland unter den Durchschnitt der EU-Staaten und OECD-Länder. International liegen sie mit 522 Punkten (2011: 528) noch im Mittelfeld.

Vergleichsweise wacker schlagen sich die Schüler in Physik, Chemie und Biologie. Ihre TIMSS-Leistungen stagnieren auf dem Niveau der Vorgängerstudien - im gehobenen Mittelmaß, knapp über den Mittelwerten von EU und OECD. Aber auch hier zogen Länder wie Slowenien oder Schweden innerhalb von acht Jahren vorbei. Zudem ist der Anteil deutscher Schüler, die Spitzenleistungen zeigen, mit 5,3 Prozent im Europavergleich sehr gering. Besorgniserregend viele Kinder (23,3 Prozent) sind hingegen nicht fit für eine weiterführende Schule, sie scheitern schon an einfachsten Aufgaben.

SZ-Grafik; Quelle: TIMSS (Foto: SZ-Grafik)

Ein weiteres Problem: Immer noch hängen Bildungschancen in Deutschland stark von der sozialen Herkunft ab. Die TIMSS-Experten fragen nach dem Berufs- oder Ausbildungsstand der Eltern, und nach der Anzahl von Büchern in ihrem Haushalt. Das Ergebnis ernüchtert. Schüler mit mehr als 100 Büchern daheim sind anderen im Schnitt mehr als ein Lernjahr voraus. In den meisten EU-Ländern haben Schüler aus bildungsfernen Elternhäusern weniger Nachteile zu befürchten.

Woran liegt das? Wilfried Bos, Bildungsforscher an der Technischen Universität Dortmund, ist so etwas wie der Architekt der TIMSS-Studie. Es fehle an Ressourcen, an Kapazitäten und am Willen zu erkennen, dass auch Kinder aus unteren Schichten Fähigkeiten haben, die man ausschöpfen muss, sagte Bos der Süddeutschen Zeitung. "Immer waren die Gymnasien dafür zuständig, gesellschaftliche Eliten zu rekrutieren. Lange Zeit hat das gereicht. Nun, im Zeitalter von Fachkräftemangel und demografischem Wandel, können wir es uns nicht mehr leisten, Potenziale ungenutzt zu lassen."

Es sind vor allem Kinder mit Migrationshintergrund, die noch Anschluss suchen. Obwohl sich Grundschüler, von denen ein oder zwei Elternteile im Ausland geboren wurden, im Test verbessern, liegen sie in Deutschland weiterhin auffallend zurück. Kinder mit hierzulande geborenen Eltern erzielten in Mathematik 31 Punkte mehr. Das entspricht fast dem Lernerfolg eines Schuljahres. In den Naturwissenschaften beträgt die Differenz 47 Punkte. Um den Abstand auszugleichen, müsse man über die Lehrerausbildung nachdenken, so Bos. Lohnenswert sei der Blick nach Nordrhein-Westfalen: Dort absolvieren Lehramtsstudenten mindestens ein Modul zu Deutsch als Fremdsprache. "Auch Mathematik- und Physiklehrer müssten sprachsensiblen Unterricht anbieten", meint Bos.

Auch die Kultusministerkonferenz räumt ein: "Die Studie zeigt, dass wir sowohl am unteren als auch am oberen Ende des Leistungsspektrums ansetzen müssen." Da passt es gut, dass Bund und Länder gerade ein neues Programm zur Begabtenförderung verkündeten - 125 Millionen Euro wollen sie im Laufe der kommenden zehn Jahre investieren. Im Gegenzug sollen 300 Modellschulen Konzepte entwickeln, wie Begabungen entdeckt und gefördert werden können.

Individuelle Förderung - eine Parole, die dem Bundesvorsitzenden des Verbands Bildung und Erziehung (VBE), Udo Beckmann, zu kurz greift. Die Politik propagiere in einem fort, auch gegenüber den Eltern, dass Schule das schon irgendwie leisten könne. "Tatsächlich ist sie nicht einmal angesichts der wachsenden Heterogenität der Schülerschaft bereit, ein entsprechendes Fortbildungspaket mitzuliefern. Außerdem hätte die Politik längst dafür sorgen müssen, dass die Lerngruppen kleiner werden als 24 bis 28 Kinder", so Beckmann. Da nütze es nichts, wenn ein Test den anderen jage. Wie es um die Leistungen der 15-Jährigen bestellt ist, wird in der kommenden Woche der Pisa-Test zeigen.

© SZ vom 30.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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