Nato-Gipfel in Straßburg und Baden-Baden:Symbolik mit Hindernissen

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Mit einem Spaziergang über die Rheinbrücke zwischen Straßburg und Kehl haben die Staats- und Regierungschefs der Nato den zweiten Tag des Gipfels begonnen. Nur einer tanzte aus der Reihe. Der Streit um einen neuen Generalsekretär schwelte weiter. Bei Demonstrationen kommt es erneut zu Ausschreitungen.

An der Grenze zwischen der deutschen Stadt Kehl und dem französischen Straßburg sind am Morgen die Feiern zum 60. Jubiläum der Nato fortgesetzt worden. Die Staats- und Regierungschefs gingen mit knapp einer Stunde Verspätung über die Fußgängerbrücke über den Rhein.

Merkel und Obama am Morgen beim Treffen der Staats- und Regierungschefs an der Rheinbrücke. (Foto: Foto: Reuters)

Das Bauwerk aus dem Jahr 2004 soll die Verbundenheit zwischen Deutschland und Frankreich zeigen, die den Gipfel zum 60. Jahrestag der Gründung der Allianz gemeinsam ausrichten. Der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy lief den anderen Staats- und Regierungschefs des Nordatlantik-Paktes von der Straßburger Seite entgegen, in der Mitte wurde er von Bundeskanzlerin Angela Merkel als Co-Gastgeberin des Jubiläumsgipfels und von US-Präsident Barack Obama empfangen. Frankreich ist am Samstag offiziell in die militärische Kommandostruktur der Nato zurückgekehrt.

Einer fehlte bei dem Familienfoto allerdings: Der italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi brüskierte seine Kollegen. Er spazierte zunächst allein in Kehl am Rheinufer entlang, telefonierte und ließ Merkel auf dem roten Teppich warten. Erst mit Verzögerung ging er über die Brücke nach Straßburg, selbst dann hatte er noch kurzzeitig sein Handy am Ohr.

Aus italienischen Regierungskreisen verlautete, Berlusconi habe mit seinem türkischen Amtskollegen Recep Tayyip Erdogan über den Streit um den Posten des Nato-Generalsekretärs gesprochen.

Nach diesen Terminen wurde die eigentliche politische Arbeit aufgenommen. Die Sitzung begann zwei Stunden später als im Protokoll vorgesehen.

Die Staats- und Regierungschef bemühten sich zuvor erneut erfolglos um eine Lösung des Streits um den neuen Generalsekretär des Militärbündnisses. Am Samstagmorgen war bereits aus Delegationskreisen verlautet, dass die Türkei den dänischen Ministerpräsidenten Anders Fogh Rasmussen weiter nicht akzeptieren will. Auch ein bilaterales Treffen zwischen Obama und dem türkischen Staatspräsidenten Abdullah Gül nach dem Rheinspaziergang brachte keine Einigung.

Die Türkei lehnt Rasmussen wegen dessen Haltung im Streit um die umstrittenen Mohammed-Karikaturen ab, die die Zeitung Jyllands-Posten im Herbst 2005 veröffentlicht hatte und die zu einer diplomatischen Krise geführt hatten. Zudem kritisiert die Regierung in Ankara, dass Rasmussens Regierung den in Dänemark beheimateten kurdischen Rundfunksender RojTV nicht gestoppt hat.

Die anderen 27 Länder befürworteten dagegen nach wie vor den dänischen Regierungschef, hieß es weiter. Aus Sicht der USA gibt es keinen Grund zur Eile. Die Entscheidung über die Nachfolge von Amtsinhaber Jaap de Hoop Scheffer müsse nicht vordringlich auf dem Nato-Gipfel getroffen werden, sagte ein hochrangiger US-Regierungsvertreter am Morgen in Straßburg.

Verteidigungsminister Franz Josef Jung äußerte sich am Rande des Gipfels wie folgt: "Ich gehe derzeit davon aus, dass wir uns weiterhin bemühen, zu einer Lösung zu kommen, die die Person im Mittelpunkt hat, die auch in der Öffentlichkeit jetzt im Raum steht".

Bundeskanzlerin Merkel hatte sich am Freitag ausdrücklich für Rasmussen ausgesprochen. "Wir werden das heute Abend in Ruhe bestimmen", hatte sie angekündigt - Rasmussen sei ein "hervorragender Kandidat".

Am Rand des Gipfels kam es am Samstagmorgen erneut zu Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Polizei. Gipfel-Gegner warfen in Straßburg Steine auf die Sicherheitskräfte. Die Polizei setzte Tränengas und Wasserwerfer ein. 25 militante Demonstranten seien festgenommen worden, teilten die Behörden mit. Nach Angaben der Nato-Gegner setzte die Polizei Gummigeschosse ein. Einige Demonstranten seien verletzt worden.

Viele hundert Gipfel-Gegner blockierten unterdessen eine Zufahrtsstraße zum Tagungsort. Die Menschen protestierten dort friedlich mit Pfeifkonzerten, Trommeln und "Nein zu Nato"-Rufen. "Es ist schon ein Erfolg, dass wir bis hierher vorgedrungen sind", sagte ein Sprecher. Etwa 1800 Demonstranten hatten sich am Morgen rund um die Innenstadt verteilt. Die Polizei versuchte, sie in Richtung Süden abzudrängen. Für Mittag ist eine Großkundgebung geplant.

In einem Gastbeitrag in der Bild-Zeitung bezeichnete Merkel unterdessen die Nato als Garanten dafür, "dass Deutschland die längste Friedenszeit seiner jüngeren Geschichte erleben konnte". Die Kanzlerin betonte, dass das Bündnis in der Außen- und Sicherheitspolitik "immer wieder" vor Aufgaben stehe, von deren gemeinsamer Lösung Deutschland profitiere: "Frieden und Freiheit sind heute neuartigen Bedrohungen ausgesetzt: Terrorismus, zerfallende Staaten, die Gefahr der Weitergabe von Massenvernichtungswaffen, Kriege und Krisen in anderen Teilen der Welt."

All diese Herausforderungen ließen sich mit den USA und den anderen Verbündeten besser bestehen "als alleine auf uns gestellt". Beim Nato-Gipfel werde "über diese neuen Aufgaben und eine neue Strategie" gesprochen, schreibt Merkel: "Dazu gehören für mich der Erhalt unserer militärischen Fähigkeiten, Fortschritte bei Abrüstung und Rüstungskontrolle und eine Verstärkung der vernetzten Sicherheit. Und wir müssen Erfolg haben in Afghanistan, damit von dort kein tödlicher Terror mehr zu uns kommt." Das seien große Aufgaben: "Wir werden sie gemeinsam mit allen unseren Partnern anpacken."

Merkel hatte schon zum Auftakt des Jubiläumsgipfels in Baden-Baden am Freitagabend die "Erfolgsgeschichte" der Allianz gewürdigt.

© AP/dpa/AFP/Reuters/ihe/mati - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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