Nahost-Konflikt:Erst das Fundament, dann das Dach

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Die Palästinenser brauchen Hilfe beim Bau eines Rechtsstaats. Dazu braucht es ein solides Fundament. Nur so hat der Frieden eine Chance.

Javier Solana

Seit gut einem halben Jahr, seit der Nahost-Konferenz in Annapolis im November 2007, reden Israelis und Palästinenser wieder miteinander - mit dem erklärten Ziel, einen palästinensischen Staat noch vor Ablauf dieses Jahres zu gründen. Dies hat Erwartungen geschürt. Endlich stehen wieder Kernfragen wie Jerusalem, Grenzen und das Schicksal der palästinensischen Flüchtlinge auf der Tagesordnung.

Javier Solana ist der Hohe Repräsentant der EU für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik. (Foto: Foto: Reuters)

Der Annapolis-Prozess hat für eine politische Perspektive gesorgt, die es lange nicht gab - die Perspektive einer Zwei-Staaten-Lösung. Dafür muss die Lage in den palästinensischen Gebieten schrittweise verbessert werden. Der Friede muss spürbar werden. Es gilt, eine Situation zu schaffen, die stabil genug ist, Rückschläge, die immer drohen, auszuhalten: eine Situation, die das Ende der Besatzung sichtbar und den Menschen Hoffnung macht.

"Bau beginnt beim Fundament"

Um ein Haus zu bauen, benötigt man einen Plan der gesamten Architektur. Doch der Bau beginnt nicht beim Dach, sondern an den Fundamenten. Das gilt auch für den palästinensischen Staat. Hier setzt die Berlin-Konferenz an, zu der die deutsche Bundesregierung Palästinenser, Israelis und die wichtigsten Partnerländer eingeladen hat. Diese Konferenz widmet sich dem Schlüsselthema Sicherheit in den palästinensischen Gebieten. Sie folgt damit der Strategie, auf die sich die Europäische Union im vergangenen Jahr verständigt hat. Sie möchte die Werkzeuge bereitstellen, um den Palästinensern den Aufbau ihres eigenen Staates zu ermöglichen.

Sicherheit und Rechtsstaatlichkeit sind dabei die Eckpfeiler. Ohne sie kann keine demokratische Gesellschaft existieren und keine gesunde Wirtschaft wachsen. Sie sind die Voraussetzung für freien Personen- und Warenverkehr, für ein günstiges Investitionsklima und nicht zuletzt für eine friedliche Koexistenz mit dem Nachbarn Israel.

Die EU möchte den Palästinensern helfen, professionelle zivile Sicherheitskräfte zu schaffen, die das Gesetz, und nicht Partikularinteressen durchsetzen. Nur eine solche Polizei kann gegen Gewalt und Anarchie in den palästinensischen Gebieten vorgehen und sich in den Dienst des gesamten palästinensischen Volkes stellen. Um es klar zu sagen: Dies liegt zuerst und hauptsächlich im Interesse der Palästinenser selbst. Die Sicherheit Israels ergibt sich als notwendige Folge aus einer gewaltfreien palästinensischen Gesellschaft.

Israel hat allen Grund, die Entwicklung einer solchen palästinensischen Gesellschaft zu begrüßen und tatkräftig zu unterstützen. Die Fortschritte der vergangenen Monate sind ermutigend. Die Zusammenarbeit israelischer und palästinensischer Sicherheitskräfte kommt voran. Die Palästinenser können einige Erfolge in der Terrorbekämpfung vorweisen. Nach und nach wird die Verantwortung palästinensischer Sicherheitskräfte auf sämtliche Ballungszentren des Westjordanlandes ausgedehnt.

Auch in den Gebieten, die unter israelischer Militärverwaltung stehen, sind Polizeistationen wiedereröffnet worden. Israel hat einige Straßensperren für Palästinenser, von denen es leider noch viel zu viele im Westjordanland gibt, abgebaut. All diese Maßnahmen werden flankiert von Maßnahmen zur Belebung der palästinensischen Wirtschaft. Großprojekte zur Ansiedlung ausländischen Kapitals wie Industrieparks in Jenin, Jericho und Hebron wurden ins Leben gerufen.

Erst vor wenigen Wochen hat die palästinensische Regierung eine erfolgreiche Investorenkonferenz in Bethlehem abgehalten. Auch wenn noch ein weiter Weg vor uns liegt, sind genau dies die Ansätze, mit denen wir die Menschen überzeugen können, dass eine Zukunft in Wohlstand und Sicherheit möglich ist. Frieden hat nur dann eine Chance, wenn er die Lebensumstände der Menschen verbessert.

Europas Verantwortung im Bereich der Sicherheitspolitik wächst stetig, nicht nur im Nahen Osten. Wir verfügen über die größte Erfahrung beim Aufbau ziviler Sicherheitsstrukturen. Mehr als 400 europäische Polizisten, Richter, Staatsanwälte und sonstige Experten sind gegenwärtig auf dem Balkan, in Afghanistan sowie in weiteren Staaten im Einsatz - auch in den palästinensischen Gebieten.

Seit 2005 sind mehr als 800 palästinensische Polizeibeamte durch die EU ausgebildet worden. Die europäische Polizeimission in Ramallah hat überdies bei der materiellen Ausstattung der Polizeikräfte und beim Wiederaufbau zerstörter Gefängnisse geholfen. Die bisherigen Erfolge haben uns ermuntert, die Mission auszuweiten und personell aufzustocken. Bald werden 53 Experten nicht nur die palästinensische Polizei, sondern auch Justiz und Strafvollzug beraten.

"Die Aufgabe drängt"

Der Aufbau eines Rechtsstaates ist der Schlüssel für Palästina. Diese Aufgabe drängt; oder wie der palästinensische Ministerpräsident Salam Fayyad wiederholt gesagt hat: "Wenn wir unseren Traum vom palästinensischen Staat verwirklichen wollen, können wir nicht auf die perfekte Sternenkonstellation warten. Wir müssen ihn bauen, als gäbe es keine israelische Besatzung."

Für den Erfolg brauchen wir nicht nur israelische Mitarbeit, sondern auch eine starke internationale Gemeinschaft, die an einem Strang zieht. Dies voranzubringen ist das Ziel der Berliner Konferenz. Die EU arbeitet im Sicherheitsbereich bereits eng mit anderen Staaten, insbesondere den USA, zusammen. Doch es wäre wünschenswert, wenn sich auch arabische Länder stärker einbinden ließen, sowohl politisch als auch finanziell.

Das bedeutet nicht, dass die Bemühungen der Europäischen Union um den Aufbau demokratischer Institutionen ein Ersatz sind für Verhandlungen zwischen Israel und den Palästinensern. Die EU unterstützt diesen Verhandlungsprozess im Zusammenspiel mit den Vereinten Nationen, Russland und den USA im Nahost-Quartett. Ohne eine einvernehmliche Verhandlungslösung ist kein dauerhafter Friede zu bekommen. Aber umgekehrt hat kein Friedensabkommen auch nur den Hauch einer Chance, das nicht auf eine Wirklichkeit trifft, in der der Boden für den Frieden bereitet ist. Die Initiative der Bundesregierung kommt zur rechten Zeit. Mit ihr kann ein wichtiger Baustein für einen palästinensischen Rechtsstaat gelegt werden.

© SZ vom 24.06.2008/vw - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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