Nadschaf:Krieg im Tal des Friedens

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Ein Gräbermeer wird zum Schlachtfeld: Auf dem riesigen Friedhof am Imam-Ali-Schrein haben sich Kämpfer des schiitischen Geistlichen al-Sadr verschanzt und liefern sich Gefechte mit den vorrückenden US-Soldaten.

Zwischen Grabsteinen liegen Geschosshülsen, auf den Wegen sind Artilleriegranaten als Minen vergraben. Mitten im Gräbermeer des riesigen Friedhofs von Nadschaf haben sich Kämpfer des schiitischen Geistlichen Muktada al-Sadr verschanzt.

Sie harren aus in einem Kampf, den sie als Glaubenskrieg betrachten. Ihre Feinde sind die US-Truppen, die am Donnerstag mit ihrer technischen Übermacht zum Großangriff gegen die radikale Mahdi-Miliz ansetzen.

Der an den Imam-Ali-Schrein von Nadschaf angrenzende Friedhof mit dem Namen Tal des Friedens ist eine der größten Begräbnisstätten in der islamischen Welt.

Hier liegen mehrere hunderttausend, wahrscheinlich sogar mehrere Millionen Menschen begraben. Die Gräber zeigen Fotos von Mitgliedern angesehener schiitischer Familien. Jetzt aber ist das acht Quadratkilometer große Gelände auch zum Friedhof für zahlreiche Aufständische und eine Handvoll Amerikaner geworden.

Der Aufstand der Anhänger al-Sadrs begann im April. Schon damals war die den Schiiten Heilige Stadt Nadschaf Schauplatz von Kämpfen geworden.

Nachdem die Gefechte am Donnerstag vergangener Woche in neuer Heftigkeit wieder aufgeflammt waren, wurde auch der Friedhof zum strategischen Ziel.

"Ziel zerstört"

"Wir müssen tun, was wir müssen", sagt Stabsunteroffizier Jose Resto beim Vorstoß auf den Friedhof. Als sich am Mittwoch ein Konvoi von 18 Panzerfahrzeugen mit 97 Soldaten der 1. Kavalleriedivision dem Friedhof nähert, werden sie sofort angegriffen.

Soldaten klettern auf ein Grabdenkmal und beschießen eine Stellung der Mahdi-Kämpfer. Bradley-Panzer feuern Granaten ab. "Ziel zerstört", sagt eine Stimme über Funk.

"Nie im Leben hätte ich gedacht, dass wir einmal auf einem Friedhof kämpfen werden", sagt der Kommandeur der Einheit, Hauptmann Patrick McFall. "Jeden Tag denke ich an die Familien, die hier ihre Angehörigen liegen haben."

Für den Guerillakampf aber ist der Friedhof ein ideales Gelände. Zahllose Grabsteine unterschiedlicher Größe bieten Deckung. Manche stehen so eng zusammen, dass sie aneinander lehnen. "Man kann sie hören, aber man kann sie nicht sehen", sagt McFall. "Sie verstecken sich unten in den Katakomben."

Langsam bewegt sich die Einheit in Richtung Süden. Da werden die Soldaten von Mahdi-Kämpfern mit Granaten angegriffen. Ein Geschoss trifft ein nur neun Meter von McFall entferntes Grab, eine dichte Rauchwolke steigt auf. "Wir stoßen nach Süden vor, aber sie kommen immer wieder raus", sagt McFall. "Sie müssen da unten eine Vermehrungsfabrik haben. Das kommt mir so vor, als ob sie sich klonen."

Resto untersucht den Eingang zu einer Krypta. Am Dienstag sei er schon mal da gewesen, erklärt er. Da sei hinter der blauen Tür alles leer gewesen. Jetzt aber findet er Wasserkanister und Panzerfäuste. "Da ist jemand letzte Nacht reingekommen."

Nach einigen Stunden lassen sich die Soldaten vor der hellgrünen Mauer eines Mausoleums zu einer Pause nieder. Sie hocken über ihren Militärrationen und sprechen über den Krieg und die bevorstehende Präsidentenwahl in den USA.

Zwei Granaten zischen über ihre Köpfe hinweg und explodieren in der Nähe. Die Soldaten lassen sich nicht davon stören. "Das ist ein unheimlicher Ort", sagt der 24-jährige Soldat Henry Salice. "Aber man gewöhnt sich daran."

Unerträgliche Lage für die Bevölkerung

Am Tag danach beginnt der erwartete Großangriff der US-Truppen. Eine Panzerkolonne fährt am Rand des Friedhofs auf. Soldaten klettern auf Dächer der benachbarten Häuser und richten Gefechtspositionen ein.

Auf dem Friedhof stoßen die Mahdi-Kämpfer immer wieder vor und ziehen sich dann schnell wieder zurück. Auf einer Wegkreuzung des Friedhofs schlägt eine Mörsergranate ein. Zwei Soldaten werden verletzt.

Für die Bevölkerung werde die Lage immer unerträglicher, sagt der Gouverneur von Nadschaf, Adnan al Surufi, der den Abzug der Mahdi-Miliz fordert. Hunderte von Einwohnern ergriffen die Flucht.

"Wir sind mit Hunger, Stromausfall und Wassermangel fertig geworden", sagt der 42-jährige Einwohner Akil Swein. "Aber mit dem Tod können wir es nicht aufnehmen."

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