Nachruf:Augenzeuge einer Ära

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Starb einen Tag vor seinem 88. Geburtstag: Rudolph Chimelli, über Jahrzehnte Korrespondent der SZ. (Foto: Catherina Hess)

Rudolph Chimelli erklärte den SZ-Lesern die Sowjetunion, Frankreich und die islamische Welt. Einen wie ihn wird es im Journalismus nicht mehr geben. Jetzt ist der Gentleman-Reporter gestorben.

Von Kurt Kister

Die längste Zeit seines langen Lebens hat Rudolph Chimelli nicht in Deutschland verbracht. Im Jahr 1964 ging der damals 36-jährige Nachrichtenredakteur der SZ nach Beirut, 2015 schließlich kehrte er mit seiner Frau aus Paris nach München zurück. In den 51 Jahren seiner Abwesenheit von der Heimat - war sie ihm das noch? - lebte Chimelli in Libanon, in der Sowjetunion (die gab es damals noch) und von 1979 an in Frankreich. Seit 1957 hat Chimelli für die Süddeutsche Zeitung geschrieben, sein letzter Leitartikel für unser Blatt erschien am 2. April dieses Jahres. Rudolph Chimelli war der, im Sinne des Wortes, Senior Foreign Correspondent dieser Zeitung. Nun ist er - einen Tag vor seinem 88. Geburtstag - in München gestorben. Einen wie ihn wird es in der SZ und im deutschen Journalismus nicht mehr geben.

Chimelli war ein Mann mit Manieren, ein großer Kenner der islamischen und ehemals sowjetischen Welt, er war belesen und pflegte einen oft britischen Humor, auch wenn ihm sonst die angelsächsische Sphäre nicht unbedingt behagte. Als er sich in den letzten Monaten in München einrichtete, merkte er, immerhin schon 87 Jahre alt, zu seiner beruflichen Zukunft an: "Ich hatte nie den Ehrgeiz, der Sepp Blatter des deutschen Journalismus zu werden, und bin froh, nicht mehr der Aktualität nachhecheln zu müssen."

Wir wiederum, die Redaktion der SZ, waren froh, immer wieder und immer noch auf den reichen Erfahrungsschatz dieses Weltmannes zurückgreifen zu können. Wenn wir darüber nachdachten, wer denn am besten den übergreifenden Leitartikel zu Iran oder das historisch fundierte Editorial zu Frankreichs Rolle in Mali schreiben könne, dann fiel bald der Satz: "Das muss Chimelli machen."

Chimelli hat sehr viel gemacht, für die Leser dieser Zeitung und damit auch für die SZ. Als Angehöriger des Jahrgangs 1928 verbrachte er Kindheit und einen Teil der Jugend während der Nazi-Zeit; als einer aus der Trümmergeneration wurde er erwachsen. 1956 absolvierte er seine Ausbildung am Werner-Friedmann-Institut, das es bis heute unter dem Namen Deutsche Journalistenschule gibt. 1957, als die Russen den Sputnik ins All schossen, den ersten künstlichen Himmelskörper, wurde Chimelli SZ-Redakteur.

In Moskau fand es der SZ-Korrespondent Rudolph Chimelli interessant, als Frankreich-Berichterstatter schrieb er gerne und kundig über Präsidenten, Politik und Lebensart. Seine Pariser Wohnung mit Blick auf den Eiffelturm gehörte zum SZ-internen Legendenstoff so wie das Domizil des früheren SZ-Reporters Carlos Widmann über der römischen Piazza Navona oder die afrikanischen Abenteuer von Stefan Klein.

Sie alle gehörten zu jenen Korrespondenten, die das Bild eines bestimmten Teils unserer Leser über bestimmte Teile dieser Welt wenn nicht prägten, so doch beeinflussten. Die Siebziger- und Achtzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts (wie sich das anhört) waren auch so etwas wie die goldene Zeit der Auslandskorrespondenten. Chimelli trug zum Glanz dieses Goldes erheblich bei.

So sehr er sich mit Franzosen und Russen auch befasste, galt Chimellis größtes Interesse, vielleicht sogar eine gewisse Liebe der islamischen Welt. Er schrieb über den Schah und über Khomeini und er gewann 1986 mit einer Reportage aus dem ersten Golfkrieg, also dem zwischen Irak und Iran, den sehr renommierten Theodor-Wolff-Preis. 2014 hat er diesen Preis noch einmal erhalten, diesmal für sein Lebenswerk. Er reiste viel und schrieb viel über den Maghreb, Syrien und Israel, Jordanien und die Emirate, Ägypten und Israel, Saudi-Arabien und die Türkei. Chimelli war Augenzeuge all jener Entwicklungen zwischen Marokko und Afghanistan, die bis heute die Welt in Atem halten.

Vielleicht ist das die richtige Beschreibung für Rudolph Chimelli: Augenzeuge einer Ära. Seine Zeugenschaft hat er verlässlich über Jahrzehnte in dieser Zeitung abgelegt, er hat berichtet und kommentiert, er hat analysiert und er hat nüchtern und präzise beschrieben, was er sah. Er war kein Blender und hat nicht schwadroniert, wie das manche Reporter gerne tun. Er war ein Gentleman-Reporter.

© SZ vom 25.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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