Nach Fahndungserfolg:Terrorschock an der Waterkant

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Die Einwohner von Kiel sind fassungslos: Bei dem am Samstagmorgen Festgenommenen handelt es sich nach Angaben der Bundesanwaltschaft um einen der mutmaßlichen Bombenleger von Dortmund und Koblenz.

Urlauber legen sonnengebräunt mit ihrem Traumschiff in Kiel an, Ausflügler genießen auf der Förde die Spätsommersonne, Bewohner pflegen in aller Ruhe ihre Vorgärten - es ist eine trügerische Idylle an diesem Samstag in Schleswig-Holsteins Landeshauptstadt. Die Anti-Terror-Jagd hat Kiel erreicht: Ein mutmaßlicher Bombenleger wird am Hauptbahnhof festgenommen, das Gebäude wird stundenlang gesperrt. Der 22 Jahre alte Libanese hat seit Februar 2005 im beschaulichen Stadtteil Projensdorf in einem Studentenwohnheim gelebt, das Beamte Samstag stundenlang durchsuchten.

Die Anwohner mögen nicht glauben, dass sie einen Terroristen zum Nachbarn gehabt haben sollen. "Das war ein Schreck", sagt eine Studentin, die nur wenige Häuser weiter wohnt. Am Fenster über der Eingangstür des unscheinbaren zweistöckigen Hauses, in dem viele ausländische Studenten leben, sind Ermittler des Bundeskriminalamtes zu sehen, die die Wohnung des Festgenommenen akribisch untersuchen. In der Nähe durchsuchen Taucher einen Teich.

Spannung liegt in der Luft

Die denkwürdigen Ereignisse dieses Wochenendes beginnen noch in der Nacht gegen 4 Uhr - ein Regionalzug, der nach Hamburg fahren soll, wird gestoppt. Ein 20-Jähriger aus Schönberg bei Kiel war auf dem Weg zur Arbeit. "Plötzlich kam eine Durchsage, dass wir den Zug wieder verlassen sollen", berichtet der junge Mann. "Auf dem Bahnsteig lagen zwei Männer in Handschellen auf dem Boden." Später wird bekannt, dass ein Tatverdächtiger festgenommen wurde. Der zweite Mann hat nach Polizeiangaben mit den geplanten Anschlägen nichts zu tun, wurde aber wegen unerlaubten Waffenbesitzes vorläufig festgenommen.

Beamte hätten Mülleimer und Gepäckstücke durchsucht, schildert der 20 Jahre alte Augenzeuge weiter die Ereignisse. "Ich mache mir viele Gedanken darüber, was alles hätte passieren können." Wer am frühen Samstagmorgen Kiel mit der Bahn verlassen wollte, wird von weiß-rotem Flatterband angehalten, das rund um den Hauptbahnhof gespannt ist. Kein Reisender darf hinein, zahlreiche Polizeibeamte sichern die Eingänge. Der Zugverkehr ist komplett lahm gelegt. Die Fahndung nach den beiden Tätern, die Ende Juli in Nordrhein-Westfalen zwei Bomben in Regionalzügen deponiert hatten, läuft auf Hochtouren. Eine ungewisse Spannung liegt in der Luft. Ein Schweriner hat gerade sein Kreuzfahrtschiff verlassen und will zum Zug. Die Urlaubsidylle ist für ihn abrupt vorbei. "Das hängt bestimmt mit unserer Außenpolitik zusammen", mutmaßt er.

Kurz vor neun öffnet die Polizei wieder die Eingänge zum Kopfbahnhof an der Förde. Die Wartenden strömen hinein, Halle und Bahnsteige füllen sich. Nur Gleis 3 und 4 darf vorerst niemand betreten: Hier sollte der Regionalzug nach Hamburg abfahren, der kurz nach 04.00 Uhr morgens gestoppt wurde. Mit geöffnetem Kofferraum steht noch Stunden später ein dunkelblaues Auto auf dem Bahnsteig. Ein weißes Zelt ist aufgebaut, darin durchsuchen Ermittler in weißen Overalls Gepäckstücke.

Zum zweiten Mal in den Schlagzeilen

Kurz nach 09.00 Uhr rollen wieder die ersten Züge. Geschäfte öffnen, Reisende kaufen Zeitschriften oder Orangensaft. Fast wirkt es, als wäre nichts gewesen. Nur der Blick auf die weiterhin gesperrten Bahnsteige 3 und 4 verrät zunächst noch, dass dies kein normaler Samstagmorgen war. Ermittler sichern letzte Spuren, ab 10.00 Uhr kehrt dann auch hier wieder der Alltag ein.

Das Aufatmen danach ist nur kurz, als die Durchsuchungsaktion in Projensdorf bekannt wird. Die Hoffnung, der mutmaßliche Attentäter möge nicht aus Kiel sein, hat sich zerschlagen. Kiel ist nunmehr binnen sechs Wochen zum zweiten Mal im Zusammenhang mit dem Anti-Terror-Kampf in die Schlagzeilen geraten.

Im Juli war in Hamburg der mutmaßliche al-Qaida-Unterstützer Redouane E.H. festgenommene worden, der jahrelang an der Universität der Förde-Stadt studiert hatte. Es gebe aber keine Erkenntnisse über eventuelle Zusammenhänge zwischen beiden Festnahmen, sagte der Kieler Innenminister Ralf Stegner (SPD). BKA-Chef Jörg Ziercke ergänzte: "Das ist überhaupt nicht spezifisch für den norddeutschen Raum."

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