Nach dem Tod des PLO-Cefs:Großunternehmer Arafat

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Der Palästinenser-Präsident hat ein kaum durchschaubares Netz finanzieller Beziehungen gesponnen und das Geld dazu genutzt, sich seine Entourage gefügig zu machen. Allein sein Privatvermögen soll sich auf 300 Millionen Dollar belaufen.

Von Rudolph Chimelli

Dass Geld der Nerv des Krieges ist, erfuhr Jassir Arafat spätestens, als er keines mehr hatte: Nach dem Golfkrieg von 1991 drehten ihm die Erdölmonarchien der Arabischen Halbinsel, bis dahin seine wichtigste Finanzquelle, den Hahn zu.

Diverse Guthaben des verstorbenen Arafat, hier mit seiner Frau Suha, schlummern in der Schweiz. (Foto: Foto: Reuters)

Der Palästinenserführer hatte mit dem Iraker Saddam Hussein sympathisiert, als dieser Kuweit annektierte. Nun rächten sich die Ölprinzen. Sie strichen der Palästinensischen Befreiungs-Organisation (PLO) nicht nur die direkten Subsidien, sondern auch die "Revolutionssteuer", die sie bis dahin für Arafat bei den Palästinensern kassiert hatten, die in ihren Ländern arbeiten.

Kuweit wies seine mehr als 300 000 palästinensischen Gastarbeiter sogar aus. Das Netz von Loyalitäten, das Arafat mühsam aufgebaut hatte, drohte zu zerreißen. Selbst bei den PLO-Angestellten geriet er damals mit den Gehältern in Rückstand.

Vertretungen im Ausland standen vor der Schließung. Schlimmer noch war, dass Krankenhäuser und Sozialeinrichtungen dabei waren, ihre materielle Grundlage zu verlieren. Die Unterstützung gefallener Märtyrer und ihrer Familien sowie von Invaliden verschlang regelmäßig große Summen.

Sogar die "Befreiungsarmee" kostete Unterhalt, auch wenn sie gar nicht kämpfte.

Rettung Mini-Staat

In wie weit es der nahende Bankrott war, der den PLO-Chef dazu bewegte, sich 1991 auf die Friedenskonferenz von Madrid und 1993 auf das Abkommen von Oslo einzulassen, ist schwer zu ermessen. Das historische Resultat war jedenfalls die Abwendung vom bisherigen Ziel der PLO, der Befreiung der verlorenen Heimat und der Rückkehr der Vertriebenen.

Stattdessen erkannte Arafat das Existenzrecht Israels an und war bereit, sich mit einem Mini-Staat auf einem Fünftel des Gebiets des einstigen Palästina zu begnügen.

Finanziell aber bedeutete dieser Schritt die Rettung vor dem Absinken in politische Bedeutungslosigkeit: Die neu entstehende "Palästinensische Autonomiebehörde" erwarb nicht nur internationale Anerkennung, sondern auch moralischen Anspruch auf Entwicklungshilfe. Wichtigste Geldgeber wurden die EU und die Weltbank.

Wertvolle Notizen

Als Jassir Arafat Anfang der neunziger Jahre nach einem Flugzeugabsturz über Libyen vermisst war, galt die Sorge der PLO-Gewaltigen nicht allein ihm, sondern ebenso einem kleinen Notizbuch. Dort hatte er die Nummern der Konten notiert, auf denen der Schatz Palästinas lag.

Auch jetzt gilt der makabre Tanz um sein Totenbett nicht zuletzt den Zugangs-Codes zu diversen Guthaben, primär in der Schweiz. Falls er die Geheimzahlen mit ins Grab nähme, könnten daraus so genannte "nachrichtenlose Konten" werden, diesmal palästinensische.

Denn immer hat Arafat über die öffentlichen Gelder selbstherrlich verfügt - bis zum letzten Dollar oder israelischen Schekel. Wenn ein Abgeordneter standesgemäß heiraten oder der Sohn eines Spezis studieren wollte, griff Arafat in die Kasse.

Dass die PLO und die Autonomiebehörde getrennte Budgets haben, erleichterte die Verschleierung. Daneben existiert noch ein "Palästinensischer Investitionsfonds". Nur Arafats persönlicher Finanzberater, der irakische Kurde Mohammed Raschid, hatte Einblick und begrenztes Verfügungsrecht.

Dieser baute für Arafat ein umfangreiches Finanz-Imperium auf, das von Bananenpflanzungen und Diamantenminen bis zu Limonaden-Abfüllfabriken und Frachtfirmen reicht. An 69 Unternehmen waren Arafat und/oder die PLO zeitweise weltweit beteiligt.

Pikanterweise arbeitete Raschid auch mit der Bank Leumi in Tel Aviv sowie israelischen Geschäftsleuten zusammen. Zwei ehemalige Geheimdienstleute, Yossi Ginossar und Uzrad Lew, werden häufig genannt. Ein Spielcasino im palästinensischen Jericho wurde in Sichtweite von Flüchtlingslagern, aber mit Blick auf israelische Kundschaft eröffnet, denn der jüdische Staat erlaubt kein Glücksspiel.

Erhebliche Einnahmen flossen der Autonomiebehörde aus Zöllen und Mehrwertsteuern zu, die Israel erhebt und weiter überweist.

Der Weltwährungsfonds stellte im vergangenen Jahr mit Betrübnis fest, dass zwischen 1995 und 2002 fast 900 Millionen Dollar auf persönliche Konten Arafats umgeleitet worden seien. Diese Gelder seien "schlecht ausgegeben" worden oder unabgerechnet geblieben.

Dschawad al-Ghussein, der ehemalige Schatzmeister des Palästinensischen Nationalfonds, der in Ungnade gefallen ist, sagt in seinem Londoner Exil, er habe Arafat über Jahre hinweg jeden Monat einen Scheck über zehn Millionen Dollar ausgehändigt.

Brot in Olivenöl

Das amerikanische Wirtschaftsmagazin Forbes rechnete im vergangenen Jahr für Arafat ein Privatvermögen von mindestens 300 Millionen Dollar aus. Auf einer Weltliste der reichsten Monarchen und Despoten stünde er damit an sechster Stelle hinter der britischen Königin.

Phantasievolle Schätzungen gehen über eine Milliarde hinaus. Doch niemand behauptet, der Palästinenserführer habe sich persönlich bereichert. Er trug immer einen Drillich, schlief auf einem Feldbett in seinem Büro und tauchte sein Brot in Olivenöl, das mit Thymian gewürzt war.

Die Seinen hingegen, Frau Suha und die kleine Tochter, versorgte er reichlich. Unter Palästinensern wird Suha Arafat, die in Paris lebt, gern "Soussous" genannt. Das klingt wie ein Spitzname, bedeutet aber auf französisch so viel wie "Pinke-Pinke".

Im vergangenen Jahr hat die französische Behörde zur Überwachung verdächtiger Geldströme (Tracfin) festgestellt, dass zwischen Juli 2001 und Juli 2002 insgesamt neun Millionen Euro von einem Genfer Konto der Autonomiebehörde auf zwei Konten von Suha Arafat in Paris überwiesen worden sind.

© SZ vom 11.11.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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