Mysteriöser Fall in Großbritannien:Tod eines Informanten

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In Großbritannien bricht ein gesunder Geschäftsmann beim Joggen zusammen und stirbt. Die Polizei ermittelt, weil er im spektakulärsten Steuerbetrug Russlands Beweise gegen die Täter geliefert haben soll. Er wäre nicht das Opfer, das im Zusammenhang mit dem Fall ums Leben kommt.

Von Julian Hans

Der Mann, den Passanten am Nachmittag des 10. November im noblen Viertel St. George's Hill in der britischen Kleinstadt Weybridge fanden, schien einen Schwächeanfall beim Joggen erlitten zu haben. Er trug eine kurze Hose und Sportschuhe, zu seiner Villa waren es nur wenige Meter. Doch dahin kam er nicht mehr zurück; eine halbe Stunde später war Alexander Perepilitschnyj tot. Nach Aussagen aus seinem Umfeld war der 44-jährige Geschäftsmann bis dahin bei guter Gesundheit gewesen.

Dass die Polizei der Grafschaft Surrey jetzt eine zweite Obduktion und ein toxikologisches Gutachten anordnete, hat noch einen anderen Grund: Perepilitschnyj war offenbar ein zentraler Informant in einem spektakulären Fall, der um die Welt ging, derzeit den amerikanischen Gesetzgeber beschäftigt und die Beziehungen zwischen Russland und dem Westen zunehmend belastet.

Im Oktober 2008 hatte der Moskauer Anwalt Sergej Magnitskij enthüllt, wie eine Bande aus Berufskriminellen gemeinsam mit Beamten der Steuerbehörden und des Innenministeriums umgerechnet 230 Millionen Dollar aus der russischen Staatskasse gestohlen hatten. Tage später wurde Magnitskij verhaftet; dieselben Ermittler, die er zuvor beschuldigt hatte, warfen ihm nun vor, den Betrug selbst begangen zu haben. Im November 2009 starb Magnitskij in einer Moskauer Gefängniszelle, nachdem ihm lebensnotwendige Medikamente verweigert worden waren. Sein Leichnam wies Spuren von Misshandlungen auf.

Spuren um die halbe Welt

Seitdem hat sich der britische Investor William Browder zum Ziel gesetzt, die Schuldigen am Tod Magnitskijs zur Rechenschaft zu ziehen. Magnitskij war bei Recherchen im Auftrag von Browders Investmentfirma Hermitage Capital auf den Betrug gestoßen, der ihm zum Verhängnis wurde.

Browder war zu Beginn des vergangenen Jahrzehnts der größte ausländische Investor in Russland gewesen, bis er in Ungnade fiel und nicht mehr ins Land gelassen wurde. Drei seiner Firmen wurden durchsucht. Später rekonstruierte Magnitskij, dass bei der Razzia beschlagnahmte Stempel dazu benutzt worden waren, die Firmen auf verurteilte Straftäter umzuregistrieren und dann in deren Namen die Steuerrückzahlung zu fordern.

Ein Team von Ermittlern hat die Spuren des gestohlenen Geldes seitdem um die halbe Welt verfolgt. Einen großen Durchbruch konnten sie vor gut einem Jahr vermelden: Ein Informant hatte ihnen Unterlagen von einem Konto der Credit Suisse in Zürich übergeben. Sie belegten, dass der Ehemann einer Steuerbeamtin nach dem Steuerdiebstahl mehr als zehn Millionen Dollar von einer Briefkastenfirma auf Zypern erhielt.

Zudem wurden über das Konto Immobilien in Montenegro und auf Dubais exklusiver Palm Island gekauft. Im März 2011 leitete die Schweizer Staatsanwaltschaft Ermittlungen ein; eine Reihe von Konten, die in Verbindung zu der kriminellen Bande stehen, wurden eingefroren.

Am Mittwoch bestätigte William Browder dem britischen Independent: Der Informant war Alexander Perepilitschnyj. Man habe die Polizei am 17. November auf die Bedeutung des Toten aufmerksam gemacht. Perepilitschnyj, der der Bande offenbar nahe gestanden hatte, war vor drei Jahren nach Großbritannien geflohen.

Mit den Enthüllungen Browders könnte er ins Visier der Bande geraten sein. Er wäre das vierte Opfer, das im Zusammenhang mit dem spektakulären Steuer-Betrug eines unerwarteten Todes gestorben ist: Magnitskij starb in der Untersuchungshaft. Ein Krimineller, den die russischen Behörden als Drahtzieher beschuldigten, wurde tot auf einem Flughafen in der Ukraine aufgefunden, bevor er zu dem Fall befragt werden konnte. Ein weiterer Beschuldigter stürzte 2008 aus einem Fenster in den Tod.

Da russische Ermittler zwar gegen Magnitskij vorgehen, der den Betrug aufgedeckt hat, aber die Verdächtigen im Innenministerium und den Finanzämtern unbehelligt lassen, geht Browder davon aus, dass Hintermänner bis in die höchste Ebene des Staates profitieren. Auf seiner Jagd nach den Schuldigen hat Browder einflussreiche Verbündete auch in der Politik gefunden.

Hilfe vom US-Kongress

Auf seine Initiative hin stimmte der US-Kongress am 16. November, dem dritten Todestag Magnitskijs, einem Gesetzentwurf zu, der russische Staatsbürger, die in Verbindung mit dem Betrug und dem Tod des Anwalts stehen, die Visa für die USA verweigert und ihre Konten sperrt. Das Gesetz muss noch durch den Senat und von Präsident Obama unterschrieben werden, aber das russische Außenministerium und Putin persönlich haben bereits mit einer harschen Antwort gedroht, sollte das Gesetz in Kraft treten.

Derweil sorgen sich die britischen Toxikologen, ob mehr als zwei Wochen nach seinem Tod im Körper von Alexander Perepilitschnyj noch Spuren einer möglichen Vergiftung gefunden werden können. Als der russische Ex-Spion Alexander Litwinenko im November 2006 in einer Londoner Klinik an einer Polonium-Vergiftung starb, hatten die Experten zuvor tagelang nach den Ursachen seiner Krankheit gesucht.

Die Ermittler in der Schweiz erklärten unterdessen, ihre Untersuchungen seien vom Tod Perepilitschnyjs nicht betroffen, sie hätten bereits alle wichtigen Unterlagen.

© SZ vom 30.11.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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