Muammar el Gaddafi:Die Rückkehr des Verfemten

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Libyens Staatschef Gaddafi spricht nach 15 Jahren erstmals wieder in Europa. Er verlangt Belohnung für seinen pro-westlichen Kurs. Und die EU sucht einen Verbündeten im Kampf gegen den Terror.

Von Christian Wernicke

Er redet und redet. Und redet. 15 lange Jahre musste Muammar el Gaddafi auf diesen Moment warten, zuletzt hatte Libyens Machthaber 1989 europäischen Boden betreten dürfen. Also zelebriert er diesen Auftritt im Herzen der EU. Genau genommen ist es der Keller der Brüsseler Kommission, wo er zusammen mit Hausherr Romano Prodi am Dienstag vor die Presse tritt. Gaddafi rühmt das Mittelmeer als "Brücke des Friedens", gelobt Zusammenarbeit - mit dem Westen im Allgemeinen und mit der EU im Besonderen.

Vor der europäischen Kommission in Brüssel begrüßten rund 200 Gaddafi-Anhänger ihr "Idol". (Foto: Foto: dpa)

Und dann zupft er den Ärmel seines braunen Umhangs zurecht, hebt seinen Blick zur Saaldecke und lächelt. Er kommt zum Schluss: "Wir dürfen diese Chance jetzt nicht verspielen", mahnt er. Denn sonst werde sein Land gezwungen sein "zurückzugehen." Zurück zu den alten Zeiten, "als wir Sprengstoffgürtel um die Bäuche unsere Frauen legten." Etwa so "wie jetzt im Irak".

"Als wir Sprengstoffgürtel um unsere Frauen legten"

Das sind dann doch Töne, die nicht so recht passen wollen zu der Inszenierung dieses "großen Tages". So hatte zuvor Gastgeber Prodi die Begegnung gewürdigt. Der Italiener gibt sich "sehr glücklich" über den Besuch aus Tripolis, verbucht dies als ureigenen Erfolg: "Dies ist das Ergebnis von fünf Jahren persönlicher Kontakte zwischen uns beiden." 1999, da hatte Prodi noch den Zorn des halben Europas auf sich gezogen. Eigenmächtig, und in schreiendem Widerspruch zur offiziellen EU-Politik, wollte er schon damals Gaddafi nach Brüssel laden. Es war eine jener Eskapaden, für die il Professore lange verspottet wurde

Aber jetzt ist Gaddafi da. Also eilt Prodi am späten Vormittag mit großem Geleit zum Flughafen, um den Wüstensohn persönlich an der Gangway zu umarmen. Das macht der EU-Chef nicht alle Tage. Bei der Ankunft im weißen Mercedes skandieren etwa 200 Nordafrikaner Freudengesänge, tanzen vor dem Eingang der Kommissionszentrale schwarze Frauen aus Kamerun in T-Shirts mit dem Porträt des Beduinen-Obersts. Und Khalid El-Moutaant, Vertreter eines arabisch-afrikanischen Jugend-Komitees, ist nicht mehr zu halten. Der Gaddafi-Fan durchbricht die Polizeisperre, will vordringen zu seinem Idol, das gerade die rechte Faust in die Luft reckt. "Ich liebe Gaddafi", skandiert Khalid. Auch noch, da ihn längst die libysche Leibgarde an eine Hauswand presst.

"Ich liebe Gaddafi"

Aus seiner Sicht hat Gaddafi für diese Termin viel, sehr viel investiert. Nicht nur, dass er seine Phobie überwindet und in einen Fahrstuhl steingt, um in den zwölften Stock des Kommissionsgebäudes zu gelangen. Im vergangenen Herbst war Gaddafi plötzlich auf einen pro-westlichen Kurs eingeschwenkt. Er verzichtete auf die Produktion von Massenvernichtungswaffen, erteilte jeder Form von Terrorismus eine Absage. Dafür verlangt er am Dienstag Gegenleistungen: Europa solle sein Land endlich aufnehmen in den Kreis jener Staaten, die Brüssel im Rahmen seines Mittelmeer-Dialogs mit Geld und Handelsvorteilen umwirbt.

Dazu, so deutet er gegenüber Prodi an, sei er sogar bereit, die Opfer des Anschlags auf die Berliner Diskothek "La Belle" zu entschädigen. Im April 1986 waren dort drei Menschen getötet und mehr als 200 verletzt worden. Gaddafi weiß: Erst nach einer solchen Geste wird Berlin sein Veto gegen engere Kontakte mit Tripolis fallen lassen.

Brüssel im Gaddafi-Fieber. Später empfängt der Oberst belgische Würdenträger, zur Anbahnung von Geschäften. Vor seiner Unterkunft, einem Schloss am Stadtrand, hatte er sich ein Gebetszelt aufbauen lassen. Dort, so erklärt ein libyscher Diplomat, wolle "der große Führer" für den Frieden beten. Und für Prodi, den Gaddafi nun "meinen Bruder" nennt.

© SZ vom 28.4.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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