Mosche Katzav:Besuch in der beladenen Stadt

Lesezeit: 2 min

Die Visite eines israelischen Präsidenten in Deutschland wird wohl niemals ein normaler Staatsbesuch sein können. Israels Präsident Mosche Katzav findet vor dem Bundestag mahnende und versöhnende Worte.

Von Peter Blechschmidt

Dass ein israelischer Präsident aber eine Rede im Bundestag halten kann und sogar soll, das ist unter deutschen Parlamentariern keine Frage.

Ernste Stimmung herrschte im Bundestag, als Katzav sprach. (Foto: Foto: AP)

So dankte denn Bundestagspräsident Wolfgang Thierse am Dienstag dem Gast Mosche Katzav, dass er "hier in Berlin, dieser beladenen Stadt", das Wort an die deutschen Volksvertreter richtete.

Das lebhafte Stimmengewirr im Plenum des Bundestags und auf den Besucherrängen erstarb abrupt, als die Glocke des Sitzungspräsidenten den Einzug Katzavs ankündigte. Bundespräsident Horst Köhler und seine Frau, Kanzler Gerhard Schröder und die Repräsentanten der anderen Verfassungsorgane Bundesrat und Verfassungsgericht begleiteten den israelischen Präsidenten und dessen Frau zur ersten Sitzreihe vor dem Rednerpult.

Die Atmosphäre war ernst. Alle wussten, dass, wie Thierse es dann formulierte, die deutsch-israelischen Beziehungen niemals "selbstverständlich, normal, Routine" sein können, auch wenn beide - Thierse und Katzav - sie als eng und vertrauensvoll rühmten.

Katzav würdigt Entwicklung Deutschlands

Was ein Auftritt im Reichstagsgebäude für den höchsten Repräsentanten Israels bedeuten muss, kann der Zuhörer nur ahnen. "Hier, in diesem Gebäude, begann die Tragödie, die zur systematischen Ausrottung des jüdischen Volkes führte," nahm Katzav Thierses Gedanken von der beladenen Stadt auf.

"Ich, der Präsident des Staates Israel, stehe hier heute im Namen des jüdischen Volkes und beweine die Ermordung meines Volkes." Das Trauma des Holocaust werde die Juden bis in alle Ewigkeit begleiten. "Für die Schoah kann es weder Vergeben noch Verzeihen geben."

Der israelische Präsident erinnerte an die beiden "begnadeten Visionäre" David Ben Gurion und Konrad Adenauer, die vor 40 Jahren die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen Israel und Deutschland besiegelten - Anlass für den jetzigen Staatsbesuch.

Katzav würdigte die Entwicklung Deutschlands zu einem "integralen und wichtigen Bestandteil" der internationalen Völkerfamilie. "Deutschland kann mit Stolz auf seine Errungenschaften seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs zurückblicken.Dank Ihrer Verbundenheit mit menschlichen Werten haben Sie Großes erreicht," sagte er.

Recht der Bürger, ohne Terror zu leben

Aber Katzav warnte auch vor dem Antisemitismus, der in einer seit dem Zweiten Weltkrieg nicht gekannten Welle wieder auflebe. Dies sei "eine moralische und historische Niederlage" für die Menschheit. Der Präsident wies auf die Gefahr hin, dass sich antisemitische mit radikalen islamistischen Kräften verbinden könnten, und er rief die gemäßigten Muslime Europas auf, Israels ausgestreckte Hand zu ergreifen und gemeinsam "Toleranz und Verständigung zu verbreiten".

Katzav betonte die "historische Entscheidung" Israels, die Gründung eines palästinensischen Staates zu unterstützen. Ob es zu einem friedlichen Nebeneinander Israels und eines Palästinenserstaates komme, hänge davon ab, ob im innerpalästinensischen Streit die rationalen oder die extremistischen Kräfte die Oberhand gewinnen würden. Israel jedenfalls werde unter allen Umständen das Recht seiner Bürger verteidigen, ohne Furcht vor dem Terror zu leben.

Eindringlich mahnte Katzav, dass Iran nicht an Atomwaffen gelangen dürfe. Der Präsident wählte einen sehr persönlichen Weg, um für einen Ausgleich mit dem Land zu werben, in dem er 1945 geboren wurde, bevor die Familie 1951 nach Israel zog.

"Ich schätze die iranische Kultur und Geschichte, mein Bruder und mein Großvater sind in Iran begraben", sagte Katzav. "Meine Familie hat mehr als 100 Generationen in Iran verbracht, nachdem wir aus Jerusalem vertrieben wurden." Es gebe keine gemeinsame Grenze und keinen Interessenkonflikt. Gleichwohl habe sich Iran zum entschiedensten Feind Israels erklärt.

© SZ vom 1.6.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: