Mordprozess Anna Lindh:Live aus dem Gerichtssaal

Lesezeit: 2 min

Für die Medien und die schwedische Öffentlichkeit ist der Prozess gegen den Mörder der populären Außenministerin das große Thema. Der Angeklagte Mijailovic hat den Mord als eine "ungeplante, spontane Wahnsinnstat" gestanden. Doch niemand glaubt ihm.

Für die Leser der bürgerlichen Zeitung Svenska Dagbladet ist der Fall bereits entschieden. Sie finden nicht, dass der Angeklagte Mijailo Mijailovic sonderlich glaubwürdig ist. Dieser hatte in seinem Geständnis unter anderem behauptet, der Angriff auf Außenministerin Anna Lindh sei eine "ungeplante, spontane Wahnsinnstat" gewesen. Die Zeitung fragte daraufhin auf ihrer Internetseite: "Glauben Sie, dass Mijailovic den Mord an Anna Lindh geplant hat?" 91,3 Prozent der 2281 Leser, die bei dieser Umfrage mitmachten, antworteten mit "Ja".

Wo immer sich in diesen Tagen Menschen in Stockholm treffen, wird über den Prozess diskutiert. Viele Bürger dürften sich am Mittwoch vor das Radio setzen, um die Geschehnisse aus dem Gerichtssaal zu verfolgen - auch wenn es nicht alle gut finden, dass der Prozess live übertragen wird. Rechtsexperten haben sich nämlich gemeldet und gesagt, eine Direktsendung könne die Zeugen beeinflussen und die Würde des Angeklagten verletzen. Die Leute werden trotzdem einschalten, zumal es nur wenige schaffen werden, als Zuhörer in den Gerichtssaal zu gelangen, genauer gesagt: nur zehn pro Tag.

Der Verhandlungssaal im Stockholmer Stadtteil Kungsholmen hat nur 90 Plätze für das Publikum, 80 davon sind von den Medien besetzt. Ein Aushang am Gerichtsgebäude besagt, dass sich "gewöhnliche Zuhörer" an jedem der drei Prozesstage morgens ab halb acht für Karten anstehen können. Die ersten Zehn dürfen hinein. Die Verhandlung beginnt dann um neun Uhr. Am ersten Tag wird die Anklageschrift verlesen, außerdem wird der mutmaßliche Täter verhört. Am zweiten Prozesstag kommen die Zeugen zu Wort, am letzten folgen die Schlussplädoyers.

Verteidigung plädiert auf Unzurechnungsfähigkeit

Mijailovics Verteidiger Peter Althin, 62, ist ein höchst anerkannter Advokat in Schweden. Der Jurist, der auch christdemokratischer Reichstagsabgeordneter ist, wird kaum versuchen, alle Beweise anzugreifen. Es sind zu viele, und sie sind zu gut. Zum Beispiel hat man DNA-Partikel des Angeklagten auf der Tatwaffe gefunden, ebenso Fasern der Jacke von Anna Lindh auf der Baseball-Mütze von Mijailovic.

Althin wird darauf setzen, dass sein Mandant zum Zeitpunkt der Tat unzurechnungsfähig gewesen ist. An die Unschuld von Mijailovic hat der Anwalt vermutlich schon länger nicht mehr geglaubt. Bereits vor dem Geständnis ist er Fragen nach einem möglichen Freispruch ausgewichen. Das Svenska Dagbladet fragte ihn Anfang Januar, ob er den Prozess gewinnen werde. Althin antwortete: "Das kommt darauf an, was Sie mit gewinnen meinen. In diesem Fall sehe ich es als Gewinn, wenn mein Klient mit meiner Arbeit zufrieden ist."

Auf der Gegenseite stehen die beiden Staatsanwälte Agneta Blidberg und Krister Petersson. Mit Interesse wird man aber auch die Rolle von Kerstin Wennersten verfolgen. Sie vertritt die Familie Lindh, die von Mijailovic 250 000 Kronen (28 000 Euro) Schmerzensgeld "für den Verlust eines Angehörigen" fordert.

Anna Lindhs Witwer Bo Holmberg und die beiden Söhne werden bei der Verhandlung nicht anwesend sein. Sie halten sich seit geraumer Zeit in Südafrika auf und werden erst am 20. Januar zurückkommen, einen Tag nach dem vermutlichen Prozessende.

© SZ vom 14. Januar 2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: