Moderner Justizvollzug:Die Freiheit ist online

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Ein Pilotprojekt erlaubt Strafgefangenen, das Internet zu nutzen, wenn auch nur eingeschränkt. Es geht darum, dass Häftlinge den Anschluss an die Realität nicht verlieren.

Von Max Ferstl

Robert mag den Tablet-Computer. Nach dem Aufstehen kontrolliert er als erstes seine E-Mails. Später, nach der Arbeit, öffnet er meistens Wikipedia, das Online-Lexikon. Gerade interessieren ihn Busse, die Längen und Gewichtsklassen. Klingt banal, ist aber für Robert ein Privileg. Er sitzt seit eineinhalb Jahren im Gefängnis. Und Gefangene sind in Deutschland normalerweise offline.

Doch Robert, der in Wahrheit anders heißt, hat Glück. Er ist Teil eines Pilotprojekts der Justizvollzugsanstalt Heidering, die Berlin im brandenburgischen Großbeeren betreibt. Rund 50 Gefangene haben vor drei Monaten Tablets bekommen. Sie können damit - sehr eingeschränkt - ins Internet gehen. Um Mails zu verschicken, nach Jobs zu suchen oder Bewerbungen zu schreiben. Das Wlan schaffte es zwar aufgrund der dicken Mauern nicht in jede Zelle. Trotzdem zeigte sich Dirk Behrendt, Berlins grüner Justizsenator, bei der ersten Bilanz am Donnerstag "im Großen und Ganzen sehr zufrieden" mit dem Gefängnis-netz. Mittelfristig sollen alle 4000 Häftlinge in Berlins Gefängnissen online gehen können. Dieser Schritt sei "unerlässlich".

Während sich die Welt draußen immer schneller vernetzt, führen Gefangene ein analoges Leben. Wenn sie an der Sportgruppe teilnehmen wollen, füllen sie einen Zettel aus - und warten dann tagelang auf eine Rückmeldung. Zum Vergleich: Eine Anmeldung im Fitnessstudio klappt online binnen zwei Minuten. "Gefängnisse hinken der Zeit hinterher", findet Christian Reschke, Teilanstaltsleiter in Heidering. Dabei müsste das Leben hinter Gittern den "allgemeinen Lebensverhältnissen so weit als möglich" angepasst sein. So steht es im Strafvollzugsgesetz. Wer rauskommt, darf nicht abgehängt sein. "Das funktioniert nur, wenn Gefangene Zugang zu zeitgenössischen Medien haben", sagt Reschke.

Deshalb werden sie in Heidering allein in diesem Jahr 450 000 Euro ausgeben für die Geräte, für das (leicht löchrige) Wlan-Netz, für Hilfe von Experten. Denn die Gefangenen sollen zwar an die digitale Welt herangeführt werden - aber nicht ohne Kontrolle. Das Gefängnisinternet in Heidering hat deshalb nur etwa 30 sorgfältig ausgewählte Seiten, darunter zum Beispiel die der Bundeszentrale für politische Bildung. Weiterführende Links laufen ins Leere. E-Mails können nur ohne Anhänge versendet werden. Im Gefängnis müsse man den Missbrauch immer mitdenken, heißt es. Passiert sei bisher aber nichts. Keine Manipulation, keine beschädigten Geräte. Das Angebot soll daher schrittweise erweitert werden, geplant ist zum Beispiel eine Lernplattform mit über 400 Programmen.

Die Gefangenen nutzen schon die jetzige Version intensiv. 24 000 Mails werden jeden Monat versendet oder empfangen. "Man kann einfach kurz schreiben, was los ist", sagt Robert. Das sei viel praktischer als ständig zu telefonieren. Die meisten Mails schreibt er an die Familie oder die Freundin. Noch ein Jahr muss er absitzen. Gerade plant er sein Leben danach. Busfahrer zu werden, sei das Ziel. Die nötigen Recherchen könnte er ohne das Tablet kaum erledigen. Wann kann er den Führerschein beginnen? Welche Firmen bietet Jobs an? 50 Bewerbungen hat Robert nach eigenen Angaben verschickt: "Die Rückmeldungen waren meistens positiv."

© SZ vom 02.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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