Autos verschmutzen die Umwelt, Autos verstopfen die Straßen. Bis 2030, so haben es die Berliner Grünen auf ihrer Vorstandsklausur beschlossen, sollen keine Benziner und Dieselautos mehr innerhalb des Berliner S-Bahn-Rings fahren. Die "Zero Emission Zone" gehört zum Beschluss "Berliner Klimaschutz: heute mutig - aus Verantwortung für morgen". Mutig sein, verantwortungsbewusst sein: Es ist genau das, was die streikenden Schüler von "Fridays for Future" von der Politik fordern. Mutig ist auch das ambitionierte Mobilitätsgesetz, das die grüne Verkehrssenatorin Regine Günther vor einem guten Jahr vorgelegt hat. Es sollte ein Paradigmenwechsel sein, weg von der autofreundlichen Stadt, hin zu einer Bevorzugung von Bus-, Bahn-, Rad- und Fußverkehr. Doch eine erste Bilanz fällt ernüchternd aus. Und so stoßen sich Opposition, Medien, Akteure der Zivilgesellschaft und sogar die Koalitionspartner der Linken und der SPD weniger an der Idee einer "Zero Emission Zone". Sondern daran, dass die Grünen nach Meinung ihrer Kritiker anderes zu tun hätten, als neue Verbote zu fordern - nämlich bestehende Konzepte erst einmal umzusetzen.
Vor allem Berliner Fahrradaktivisten fühlen sich im Stich gelassen. Sie hatten 2016 einen "Volksentscheid Fahrrad" initiiert, aus dem das Mobilitätsgesetz hervorging. Die Radler sollten die Umsetzung des Gesetzes eng begleiten. Im Oktober 2018 stellten sie einen Entwurf für ein im Gesetz vorgesehenes Radverkehrsnetz vor. Doch im März kündigten die beiden wichtigsten Akteure, der Verein "Changing Cities" und der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC), dem Senat die Zusammenarbeit auf. "Der Senat war nicht bereit, sich auf verbindliche Zielvorgaben festzulegen", sagt Ragnhild Sørensen von "Changing Cities". Einen offiziellen Entwurf für ein Radverkehrsnetz gibt es bis heute nicht. Und wie sieht es auf den Straßen aus? "Punktuell hat sich etwas verbessert", sagt Sørensen. Einzelne Radwege seien verbreitert, Poller aufgestellt worden. "Doch bei der Masse an Radfahrern auf Berlins Straßen merkt man diese Maßnahmen kaum."
Nicht nur die Radfahrer kritisieren die Arbeit des Senats. Der SPD-Abgeordnete Sven Kohlmeier bemängelt, eine im Gesetz vorgesehene Untersuchung, wie sicher sich Radler in Berlin fühlen, gebe es noch nicht. Kohlmeier hatte sich beim Senat in einer Reihe schriftlicher Anfragen nach dem Stand der Mobilitätswende erkundigt.
Auch jenseits des Radverkehrs hakt es. So ist bis jetzt unklar, wann die Berliner Verkehrsbetriebe, wie im Gesetz vorgesehen, Falschparker auf Busspuren abschleppen dürfen. Selbst das Fazit der zuständigen Senatsverwaltung fällt ernüchtert aus. "Das Berliner Mobilitätsgesetz enthält eine Vielzahl von Festlegungen, für deren Umsetzung weder Prozesse und Verfahren noch klare Aufgabenzuständigkeiten feststehen." Doch woran liegt es? Berlins Bezirke, die nach einem jahrelangen Sparkurs dünn besetzt sind, fehlen die Fachleute für die Umsetzung des Gesetzes. Auch in der Senatsverwaltung von Regine Günther gab es Unruhe. Sie versetzte im vergangenen Herbst ihren kranken Verkehrsstaatssekretär Jens-Holger Kirchner in den Ruhestand, wofür sie viel Kritik einstecken musste.
Rad-Lobbyistin Sørensen vermutet aber noch einen anderen Grund für die stockende Umsetzung: "Die Politik hat unterschätzt, wie schwierig es ist, nach 70 Jahren autogerechter Stadtplanung komplett umzudenken", sagt sie. Das sehe man unter anderem beim Herzensthema der Aktivisten: der Sicherheit der Radfahrer. Im Mobilitätsgesetz festgeschrieben ist die "Vision Zero". Das heißt, es sollen keine Radfahrer mehr auf Berlins Straßen sterben. Tatsächlich gab es im Jahr 2018 in Berlin elf tote Radfahrer, 2019 bereits vier. "Wir beobachten allerdings immer noch, dass die Planer von Radwegen nicht die Sicherheit als wichtigstes Kriterium sehen, sondern zum Beispiel Geschwindigkeit und Leistungsfähigkeit." Sie fordert außerdem mehr Transparenz. "Wir wollen wissen, warum es in Oslo gelingt, die Innenstadt innerhalb von zwei Jahren autofrei zu machen und in Berlin nicht." Dazu möchten die Aktivisten weiter mit der Senatorin im Gespräch bleiben. Denn eigentlich wollen sie ja alle dasselbe.