Mittelmeer:Rettungsschiffe in Seenot

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Die Schiffe zweier deutscher Hilfsorganisationen gerieten an Ostern mit mehr als 600 Flüchtlingen an Bord in Seenot. Die Helfer befürchteten, unter der Last zu kentern.

Von Oliver Meiler, Rom

Das Drama auf der Fluchtroute durch das zentrale Mittelmeer hat nun auch zivile Rettungsorganisationen in Not gebracht. Die Schiffe zweier deutscher Hilfsorganisationen gerieten am Osterwochenende mit mehr als 600 an Bord genommenen Flüchtlingen in Seenot. Die Schiffe Sea-Eye und Iuventa setzten Notrufe ab, weil sie überladen waren und bei zunehmend schwerer See manövrierunfähig wurden. Helfer befürchteten zu kentern. Die Crew der Sea-Eye erlebte mit, dass "vermutlich acht bis zehn Menschen" ertranken. Das Schiff der gleichnamigen Organisation trieb am Ostermontag mit rund 210 Flüchtlingen an Bord auf halbem Weg zwischen Libyen und Italien manövrierunfähig im Meer, wurde aber von einem Seenotrettungskreuzer begleitet. Die Crew der Iuventa der Organisation Jugend rettet teilte am Montag via Twitter mit, die Lage sei inzwischen "unter Kontrolle". Das Schiff hat mehr als 400 Migranten aufgenommen.

Das Osterwochenende hatte mit gutem Wetter und ruhiger See begonnen. Auch deshalb legten besonders viele Flüchtlingsboote von der libyschen Küste ab. Allein am Samstag haben private und staatliche Retter in 33 verschiedenen Operationen 4500 Flüchtlinge gerettet und nach Kalabrien und Sizilien gebracht. Am Sonntag und am Montag kamen laut italienischer Küstenwache mindestens 2500 Menschen dazu. Unklar war zunächst, wie viele Flüchtlinge insgesamt umgekommen sind. Die maltesische NGO Migrant Offshore Aid Station von Chris und Regina Catrambone, die 1500 Menschen gerettet haben soll, berichtete von sieben Todesopfern an Bord, unter ihnen ein Kind. Chris Catrambone sagte: "Stell dir vor, es ist Ostersonntag, und du trägst den leblosen Körper eines achtjährigen Jungen im Arm." Diesen Tag werde er nie vergessen.

30 Prozent der libyschen Wirtschaft hängen angeblich vom Menschenschmuggel ab

Die Schlepperbanden schicken überfüllte Behelfsschiffe in immer jämmerlicherem Zustand auf die Reise. Manche Schlauchboote, berichten die NGOs, seien nur halb aufgepumpt. Vermutlich kümmert es die Schleuser nicht, ob die Flüchtlinge es lebend an ihr Ziel schaffen. Und da sie kein Geld verlieren möchten mit Booten, die sie ohnehin kein zweites Mal gebrauchen können, weil sie untergehen oder beschlagnahmt werden, maximieren sie den Verdienst mit möglichst vielen Passagieren auf möglichst billigen Schiffen. Für die Kritiker der privaten NGOs hingegen ist klar, dass die Menschenschmuggler damit rechnen, dass die Flüchtlinge schon kurz nachdem sie abgelegt haben, gerettet würden. Die Agentur für die europäische Grenz- und Küstenwache Frontex wirft den Helfern sogar vor, sie würden gemeinsame Sache machen mit den Schleusern, indem sie mit ihren Booten neuerdings noch näher an der libyschen Küste kreuzten und ihre Positionen womöglich kommunizierten. Die NGOs nennen die Vorwürfe haltlos und verleumderisch.

Die humanitäre Organisation Ärzte ohne Grenzen, die regelmäßig Auffanglager für Flüchtlinge in Libyen besucht, berichtet davon, dass Zehntausende dort wie Gefangene behandelt und gefoltert würden. Bei einem Auftritt in Rom erzählte Generaldirektor Arjan Hehenkamp, es würden auch Afrikaner interniert, die schon seit vielen Jahren als Arbeiter in Libyen gelebt hätten. Sie würden verhaftet und gegen ihren Willen auf Boote gezwungen, wenn sie sich nicht gegen viel Geld freikaufen könnten. Fast 30 Prozent der libyschen Wirtschaft lebe vom Menschenschmuggel.

An diesem Wochenende rettete Ärzte ohne Grenzen erneut mehr als tausend Flüchtlinge. Viele von ihnen, so berichtete es Michele Trainiti, zuständig für die Rettungen im Mittelmeer, hätten Folter- und Schussspuren am Körper getragen. "Eines ist sicher", sagte Trainiti, "die Überfahrten werden weitergehen."

© SZ vom 18.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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