Mit Merkel durch Afrika:Expedition im Eiltempo

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Bedrohte Arten, bedrohliche Themen und Kognak aus Elefantenfüßen - wie die Kanzlerin bei der Durchquerung ein Gefühl für den Kontinent entwickelt.

Kurt Kister

Es ist windig und leider ziemlich grau. Hinter der rissigen Wolkendecke und den sich am Horizont türmenden Kumuli ahnt man die Sonne mehr, als dass man sie sieht. Ein paar hundert Meter unterhalb der Küstenfelsen brechen sich die Wellen da, wo Indischer und Atlantischer Ozean ineinander übergehen. Sie rollen mit langen Schaumkronen auf diese äußerste Spitze Afrikas zu, die Jahrhunderte lang, als es noch keine Flugzeuge und keinen Suezkanal gab, die Land- und Wendemarke auf dem Weg nach Indien (oder Europa) war.

Es ist Frühling, und der so vielfältige Pflanzenteppich auf den Bergen über dem Meer prangt in einer Myriade bunter Blüten. Das Kap ist ein Ort rauer Schönheit, eine zugige Idylle. Es lädt dazu ein, sich niederzusetzen und mit dem Blick in Richtung des Südpols darüber nachzudenken, ob die Welt nicht vielleicht doch flach ist und man also irgendwo da draußen von ihrem Rand ins schäumende Nichts stürzen könnte.

Für solche Gedanken an diesem Ort bleibt leider nicht sehr lange Zeit, wenn man als Bestandteil des Trosses der eiligen Kanzlerin Afrika durchmisst. Angela Merkel hat sich vorgenommen, drei Länder (Äthiopien, Südafrika, Liberia), drei Zeitzonen und etwa ein Dutzend wirklich wichtiger Themen von Aids über Chinas schleichenden Vormarsch bis hin zum Klimawandel innerhalb von fünf Tagen zu bewältigen.

Von diesen fünf Tagen ist Merkels Afrikakorps - Abgeordnete, Diplomaten, die Ministerin Heidi Wieczorek-Zeul, Wirtschaftsleute, Kanzlerhelfer und Personenschützer sowie Journalisten - alles zusammengenommen etwa zweieinhalb Tage in der Luft. Einen weiteren Tag wird es in Autos und Omnibussen meist durch Städte gefahren, um vom Konferenzzentrum zum Präsidentenpalast oder zum Flughafen oder zum Hotel zu gelangen. An diesen Orten wiederum verbringt man dann zusammengerechnet noch mal gut einen Tag.

Vom Gletscher zum Kap

Bleibt also eigentlich nur ein halber Tag für Afrika jenseits der Reden, Empfänge, Essen und Paraden. Anderthalb Stunden in einer besonderen Mädchenschule in Addis; eine Stunde auf einer Aids-Station für Kinder in Kapstadt; zwei Stunden am Kap der guten Hoffnung, wo der Wind so sehr weht und der Professor Norbert Jürgens der Kanzlerin unter anderem erläutert, wie sich der Klimawandel auf die Zahl und Verschiedenheit der Arten auswirkt. Nein, Merkel ist nicht einfach so am Kap, um zu gucken. Politiker reisen nicht, um einfach nur zu gucken.

Rund um Kapstadt gibt es eine unglaubliche Vielfalt verschiedener Pflanzen. Allein auf dem berühmten Tafelberg oberhalb der Stadt zählen die Experten mehr Arten als auf den gesamten britischen Inseln, sagt Jürgens. Der Hamburger Biologe leitet ein von der Bundesregierung und afrikanischen Partnern finanziertes Forschungsprojekt namens Biota-Africa, das in verschiedenen Regionen des Kontinents die Artenvielfalt und deren Bedrohungen erforscht.

Merkel ist von dem unprätentiösen Professor angetan. Er ist Naturwissenschaftler wie sie, und später sagt sie, dass sie es auch immer wieder interessant finde, auf solchen Reisen "mal so richtig zu sehen", was sich hinter oft relativ kleinen Etatposten in einem Ministerium ihrer Regierung verberge. Biota zum Beispiel sei so etwas, und wenn man das hier am Kap so erklärt kriege wie von dem Professor Jürgens, dann könne man eben richtig sehen, wie das alles zusammengehöre, die Natur, das Klima, die Gefahren fürs Klima.

Das berührt das Grundverständnis dessen, was für Merkel "Politik" bedeutet: Wir identifizieren ein Problem (Klimawandel und Artenvielfalt), suchen nach einer möglichst vernünftigen Vorgehensweise (quantitative und qualitative Durchdringung durch Biota), stellen Geld dafür bereit (Forschungsministerium) und haben insgesamt etwas getan als Politikerin und Kanzlerin.

Und natürlich weiß Merkel auch, dass man die Dinge populär machen muss, wenn man sie (und damit vielleicht auch sich selbst) in den Fokus der Aufmerksamkeit bringen will. Deswegen spricht sie nicht nur über den Klimawandel, sondern sie reist auch - kürzlich nach Grönland, wo sie über die Gletscher flog, oder jetzt eben ans Kap der guten Hoffnung.

Dabei entstehen Bilder, die Träger der Botschaft sind. Nein, Politiker reisen nicht, um Dinge oder Zustände im Ausland intensiv kennenzulernen. Dazu haben sie keine Zeit, und wenn sie sich doch Zeit dafür nähmen, dann würden ihnen etliche Reporter und zahllose Bloggofanten im Internet vorwerfen, dass das doch alles nur Politurlaub sei.

Merkels Vorgänger Gerhard Schröder hatte vor solchen Schlagzeilen so viel Angst, dass er sich bei seiner einzigen "längeren" Afrika-Reise vor drei Jahren praktisch nie in die Nähe eines Zebras, eines Affenbrotbaumes oder eines anderen tourismusverdächtigen Objekts begab. Schröder hätte sich die Artenvielfalt nicht am Kap erklären lassen. Merkel ist da deutlich souveräner.

Doch, sagt Merkel irgendwann im Laufe der Kontinentdurchquerung, sie könne bei dieser Unternehmung zumindest ein Gefühl für Afrika entwickeln. In Addis Abeba zum Beispiel sehe man schon in den Straßen, was es bedeute, wenn ein Land ein jährliches Bevölkerungswachstum von 2,5 Prozent habe.

"Da ist jeder Zweite unter 21 Jahren", sagt Merkel und verbindet das mit einer anderen Zahl: Gut die Hälfte habe keine Arbeit. Sie hat das alles gelesen, hat sich vorbereitet, nicht nur wegen dieser Reise, sondern auch, weil sie beim G-8-Gipfel in Heiligendamm Afrika mit ins Zentrum der Beratungen rücken wollte und dies auch getan hat. Ja, vieles, was da beschlossen wurde, sind zunächst nur Versprechungen.

Allerdings hat sich auch manches bewegt: Die Bundesregierung zum Beispiel wird bis 2011 drei Milliarden Euro mehr für die Entwicklungshilfe ausgeben; der so genannte "Globale Fonds gegen Aids, Tuberkulose und Malaria" soll, dies erbrachte eine Geberkonferenz jüngst in Berlin, mit zehn Milliarden Dollar ausgestattet werden.

Wenn sich Kulturen treffen

Wenn man auf dieser Reise über "Afrikapolitik" spricht, im Flugzeug, im Bus oder spät in irgendeinem Hotel, kommt man schnell zu solchen Zahlen, Verpflichtungen, Organisationen und Schlagworten - ,,gute Regierungsführung'' (good governance) oder "Millenniumsziele" der UN (dazu gehört die Halbierung der Armut in Afrika bis 2015...). Draußen aber, bei den nicht so häufigen Begegnungen der Delegation mit jenen, für die ,,Afrikapolitik'' tatsächlich oder vorgeblich gemacht wird (oder werden soll), sieht das alles ein wenig anders aus.

In Addis Abeba zum Beispiel bewegt sich die Kanzlerin-Kavalkade zum Besuch eines Projektes, das von der deutschen Organisation Kindernothilfe mitfinanziert wird und sich vor allem um missbrauchte und vernachlässigte Mädchen kümmert. Die Fahrt führt weg von jenem Viertel, in dem Hotels und Bürohäuser liegen, hinein in die dicht besiedelten Hügel der Wellblech-Häuser und Shanty-Towns.

Unter reichlich Polizei-Bedeckung und Blaulicht-Geblinke bewegt sich der Konvoi. Vorneweg fährt die Kanzlerin im Fond eines überlangen, braunen Mercedes 230/8, der aus den siebziger Jahren stammt und wie ein paar andere seiner Machart erstaunlicherweise die Kriege und Nöte der vergangenen 30 Jahre äthiopischer Geschichte überlebt hat. Den alten Benzen folgt ein Sammelsurium von Kleinbussen, Botschaftsautos und Polizeifahrzeugen.

Am Straßenrand stehen jede Menge Menschen, für die dieser Auftrieb von zumeist weißen Krawattenträgern und Hosenanzugs-Damen, von Kameraleuten und hektischen Funktelefonierern so eine Art mobiler Zoo ist. Es ereignet sich ein Zusammenstoß der Kulturen - ein wohlmeinender zwar, aber dennoch eine Begegnung zweier Welten.

Ähnlich sonderbar verläuft in Addis das offizielle Mittagessen zu Ehren der deutschen Kanzlerin und G-8-Präsidentin. Im ehemaligen Thronsaal des Ras Tafari, des Fürsten Tafari, und späteren Kaisers Haile Selassie haben sie lange Tische aufgebaut, an denen die äthiopische Elite, Diplomaten der in Addis ansässigen Afrikanischen Union (AU) und natürlich die deutschen Gäste sitzen.

Die Räume des Kaiserpalastes sind voller afrikanischem Nippes: Ausgehöhlte Elefantenfüße dienen als Aufbewahrungsorte für Kognakflaschen; im Eingang liegt ein Tigerfell wie jenes, das man aus "Dinner for one" kennt; beim Anblick etlicher ausgestopfter Löwen und Geparden möchte man sofort für den World Wildlife Fund spenden. Eine Kellnerbrigade serviert mit militärischer Präzision die Speisen. Der Hauptgang ist ein gebräuntes Teil, das man zunächst für erkaltetes Huhn hält, sich dann aber als unschneidbarer, weil todzäher Fisch herausstellt.

Am Tisch sitzen außerdem noch zwei Schwestern aus Mutter Teresas Orden, die einem ein schlechtes Gewissen machen, obwohl sie das gar nicht wollen, weil sie nichts, keinen Bissen, essen. Als alles vorbei ist, wird die Kanzlerin wieder mit dem langen, braunen, alten Benz davongefahren. Als Führungsfahrzeug fungiert dieses Mal ein Mercedes-Cabrio 350 SL, grün, späte siebziger Jahre, mit einer Fahne mitten auf der Kühlerhaube und zwei Tellerschirmmützen tragenden, sehr ernst blickenden Polizisten.

In Äthiopien, dem Land pittoresker Staatssymbole, war die Kanzlerin in erster Linie, um der Afrikanischen Union ihre Aufwartung zu machen. Wie Schröder 2004 hielt auch Merkel 2007 vor der AU eine Rede, und vieles, was damals schon ein Problem war, ist es heute immer noch: der Darfur-Konflikt im Sudan, das desolate Somalia, die autoritäre Herrschaft des Robert Mugabe in Zimbabwe.

Letzteres ist ein bei dieser Reise häufig angesprochenes Thema. Die EU wird im Dezember einen EU-Afrika-Gipfel veranstalten und Großbritanniens Premier Gordon Brown möchte dem fernbleiben, wenn der Alte aus Harare kommt. Angela Merkel sieht das anders und hat es diverse Male auf dieser Reise gesagt. "Man darf nicht ganz Afrika für einen Mann bestrafen", meint sie. Allerdings kritisiert sie Mugabes Politik immer wieder deutlich, auch vor der eher konsensorientierten AU.

Später, in Südafrika, wo sie mit Nelson Mandela mal ganz grundsätzlich über den Frieden spricht, hält sich Präsident Thabo Mbeki wie üblich eher zurück, als er öffentlich auf seinen alten Kampfgefährten Mugabe angesprochen wird. Ein Prozess sei im Gang, das benötige noch Zeit, vielleicht bis zu den Wahlen im nächsten Jahr.

So spricht Mbeki, der im Jahre 2009 selbst das Präsidentenamt wird räumen müssen, und dessen Nachfolge an der Spitze des allein regierenden ANC auf Monate hinaus das Thema in Südafrika ist. Nicht-öffentlich soll sich Mbeki, heißt es in Pretoria, viel deutlicher, ja drastisch über Mugabe äußern. Aber das hieß es auch schon 2004, als Schröder in Pretoria mit Mbeki sprach.

Eines übrigens haben Schröder und Mbeki gemeinsam: Beide bemühten sich sehr um die Fußball-Weltmeisterschaft für ihr Land, und als die stattfand (respektive stattfinden wird), war keiner der beiden mehr Regierungschef (respektive wird es nicht mehr sein). Viel Pessimistisches ist schon gesagt worden über South Africa 2010, und manches aus gutem Grund: die Kriminalität, die Bürokratie, die Verkehrsverhältnisse. Auch Merkels Besuch gibt einen kleinen Vorgeschmack auf die möglichen Schwierigkeiten der WM in Südafrika, vor allem, was den Verkehr angeht.

Kein Schuss, kein Tor

Eines späteren Nachmittags wälzt sich der Heerwurm der Kanzlerin zur Großbaustelle Soccer City. Soccer City bei Johannesburg wird jenes Stadion sein, in dem das Eröffnungs- und das Endspiel stattfinden werden. Wenn es fertig ist, wird es wahrscheinlich ganz großartig aussehen, halb Münchner Allianz-Arena, halb Riesen-Kalebasse. Noch allerdings erinnert es mehr an die Ruine eines römischen Kolosseums inmitten nasser roter Erde.

Der Weg von Pretoria zur Baustelle ist mühselig, man quält sich über eine sechsspurige Autobahn, die übel verstopft ist, so dass selbst die von Polizei begleitete Kolonne nicht recht vorankommt. Es regnet, und angesichts der suburban zersiedelten Landschaft sagt einer im Bus: "Das sieht hier aus wie zwischen Duisburg und Dortmund."

Kurz vor Schwinden des Tageslichts fährt die Kanzlerin-Karawane mitten auf dem auf, was später das Spielfeld sein wird. Merkel steigt aus dem Kleinbus und hält stracks auf die Arbeiter zu, die vor dem Empfangszelt Spalier stehen. In bester Landesmutter-Manier erkundigt sie sich bei den Plastikbehelmten nach Wohlergehen und Job, bevor sie sich dann wieder der Korona herumschwirrender Anzugträger zuwendet.

Unter diesen ist Oliver Bierhoff, Manager der deutschen Fußball-Nationalmannschaft, der auch abends auf nasser roter Erde gut aussieht, eine Mischung aus Dressman und Vanity-Fair-Art-Director. Im Zelt preisen dann Weiße und Schwarze, Deutsche und Südafrikaner die vergangene sowie die bevorstehende WM. Merkel bietet alle erdenkliche Hilfe an. Die Bauarbeiter singen, es werden Hände geschüttelt, und dann geht es wieder zur Buskarawane. "Na gut, good bye, los", sagt Angela Merkel und alles setzt sich in Bewegung.

Man lehnt sich zurück im Bus, es nieselt draußen. Man wird wieder durch Afrika gefahren, aber es ist schon zu dunkel, um das mit letzter Bestimmtheit sagen zu können, auch wenn man sich daran erinnert, wie am Vormittag ein Kollege in sein Mobiltelefon gerufen hatte: "Ich bin jetzt in Pretoria. Mein Handy geht, und es gibt keine Zeitverschiebung."

Wenn der Schröder noch Kanzler wäre, hätten sie in Soccer City ein Tor aufgestellt. Schröder hätte dreimal drauf geschossen und anschließend wäre man noch zu irgendeiner Volkswagen-Fabrik gefahren.

© SZ vom 8. Oktober 2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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