Missbrauchsskandal an der Odenwaldschule:Schwierige Sühne

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Der Missbrauchsskandal an der Odenwaldschule ist seit Monaten publik - auf eine Entschädigung warten die Opfer immer noch. Statt die Vergangenheit gemeinsam aufzuarbeiten, streiten und beleidigen sich die ehemaligen Schüler untereinander.

Tanjev Schultz

Die vom Missbrauchsskandal erschütterte Odenwaldschule kommt nicht zur Ruhe. In einer turbulenten Sitzung des Trägervereins traten am Sonntag zwei von sieben Mitgliedern des Vorstands zermürbt zurück: der Vorsitzende Michael Frenzel und der Sprecher Johannes von Dohnanyi. Beide waren früher selbst Schüler des privaten Internats in Heppenheim und haben sich in den vergangenen Wochen für eine umfassende Aufklärung der sexuellen Übergriffe von Lehrern und für eine Entschädigung der Opfer eingesetzt. In einer schwierigen Debatte verständigte sich der Verein nach den Rücktritten darauf, eine Stiftung zu gründen, die sich um Entschädigungszahlungen kümmern soll. Aus dem laufenden Haushalt der Schule soll dafür kein Geld fließen.

Kommt nicht zur Ruhe: Die von einem Missbrauchskandal erschütterte Odenwaldschule in Heppenheim. (Foto: dpa)

Nach Angaben der Schule hat sich die Zahl der Opfer auf 125 erhöht. Im Sommer ist noch von 50 bis 70 Betroffenen die Rede gewesen. Strafrechtlich sind die Taten verjährt, weil sie überwiegend in den siebziger und Anfang der achtziger Jahre begangen wurden. Frenzel und Dohnanyi waren vor einem halben Jahr in den ehrenamtlichen Vorstand gewählt worden. Sie wollten das Internat zum "Modell" dafür machen, wie eine Schule endlich ihre unrühmliche, lange Zeit vertuschte Geschichte aufarbeitet. Doch zwischenzeitlich ist die Reformschule eher zu einem Beispiel dafür geworden, wie sich verschiedene Fraktionen in diesem Prozess belauern, beharken und einander das Leben schwermachen.

Im Kreis der ehemaligen Schüler tobten wilde Auseinandersetzungen. Umstritten war und ist, wie und wann die Schule, die zurzeit nicht genügend Schüler und Sponsoren hat, die Opfer entschädigen kann. Zum Problem wurde dabei, dass sich einige der wichtigen Akteure einfach nicht ausstehen können. Johannes von Dohnanyi geriet immer wieder mit Tilman Jens aneinander, ebenfalls Ex-Odenwaldschüler und Mitglied im Trägerverein. Beide sind selbstbewusste Publizisten und der Öffentlichkeit auch durch ihre berühmten Väter ein Begriff, den früheren Hamburger Bürgermeister Klaus von Dohnanyi und den Tübinger Rhetorik-Professor Walter Jens. Die Rhetorik ihrer Söhne lief zuletzt auf einen Wettbewerb in der Kunst des Beleidigens hinaus.

Tilman Jens halten manche für einen notorischen Stänkerer, der eine rasche Entschädigung der Missbrauchsopfer verhindere. Andere dagegen fanden Dohnanyi viel zu eigensinnig und zu forsch in seinem Plan, bis Ende des Jahres 100.000 Euro aus der Schulkasse für Entschädigungsleistungen zu nehmen und die Summe in Raten auf etwa 300.000 Euro aufzustocken. Jens warf Frenzel und Dohnanyi vor, nach "Gutsherrenart" zu regieren. Nicht eben harmonisch war zuletzt außerdem das Verhältnis zwischen dem Vorstand und der hauptamtlichen Schulleiterin Margarita Kaufmann. Gegenseitig unterstellte man sich, alles an sich reißen zu wollen.

Die Betroffenen warten derweil weiter auf das versprochene materielle Zeichen der Sühne. Einige der Lehrer, die die Schule als Täter ausgemacht hat, wie den früheren Rektor Gerold Becker, sind bereits tot. Der Anwalt Thorsten Kahl, der sechs ehemalige Schüler vertritt, appelliert in einem Brief an Beckers Erben und an die noch lebenden Beschuldigten, endlich eine Entschädigung zu leisten. Ein Betroffener sagt, er habe mehr als 20 Jahre warten müssen, bis die Taten aufgedeckt wurden. Jetzt müsse er offenbar weitere 20 Jahre kämpfen, bis er eine Entschädigung bekommt.

© SZ vom 29.11.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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