Militär in Afghanistan:Der Bundeswehr fehlt es an Bewerbern

Lesezeit: 4 min

Mehr Gewalt am Hindukusch, weniger Freiwillige für den deutschen Einsatz: Der jüngste Todesfall in der Bundeswehr entfacht eine alte Debatte.

V. Bernau

Es war bereits der dritte Anschlag in diesem Monat auf deutsche Truppen in Afghanistan - und dieses Mal forderte er nicht nur Verletzte, sondern ein Todesopfer. Der 29-jährige Bundeswehrsoldat, der am Mittwoch in der Nähe von Kundus getötet wurde, ist einer von etwa 3000 Menschen, die nach Schätzungen von Hilfsorganisationen seit Jahresbeginn bei Kämpfen und Anschlägen in Afghanistan ihr Leben ließen.

Ein deutscher Soldat in Afghanistan: Die Bundeswehr hat derzeit etwa 3500 Soldaten am Hindukusch stationiert. (Foto: Foto: ddp)

Mit jedem Todesopfer verliert der Einsatz der Bundeswehr am Hindukusch ein Stück mehr vom Hauch des Abenteuers - und deutlicher zeigt sich, was ein Kriegseinsatz per Definition ist: Ein gefährliches Manöver, das auch immer das Risiko von Todesopfern in sich birgt.

Das bekommt die Bundeswehr nun zu spüren: Ihr laufen wegen des gefährlichen Einsatzes in Afghanistan immer mehr Bewerber und Führungskräfte weg. Die freiwilligen Meldungen junger Männer seien im Vergleich zum Vorjahr um rund 60 Prozent zurückgegangen, berichtete die Rheinische Post unter Berufung auf eine interne Statistik der Bundeswehr. Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums konnte diese Zahl nicht bestätigen.

Immer mehr Ärzte und Piloten wandern ab

Das Verteidigungsministerium räumte zwar ein, dass die Zahl der Bewerber für eine Offizierslaufbahn in den ersten sechs Monaten des Jahres im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 16 Prozent und bei Unteroffizieren und Mannschaften um elf Prozent zurückgegangen sei. Dies bewege sich aber im Bereich der üblichen Schwankungsbreiten. Derzeit kämen immer noch fünf bis sechs Bewerber auf eine Offiziersstelle, bei Unteroffizieren und Mannschaften sei das Verhältnis ähnlich. Grundsätzlich sieht die Bundeswehr aber das Problem, dass sie zunehmend mit der privaten Wirtschaft in Konkurrenz um qualifiziertes Personal steht.

Abwanderungstendenzen gebe es auch bei Ärzten und Piloten, berichtete die Rheinische Post. Vor allem qualifiziertes Flugpersonal ziehe nach langen und anstrengenden Afghanistan-Einsätzen lukrative Angebote ziviler Airlines vor. Luftwaffeninspekteur Klaus-Peter Stieglitz sei wegen des Aderlasses bereits bei Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) vorstellig geworden.

Die Bundeswehr zählt derzeit insgesamt knapp 188.000 Berufs- und Zeitsoldaten. Hinzu kommen rund 35.000 Grundwehrdienstleistende sowie 24.000 freiwillig länger Wehrdienstleistende. An Auslandseinsätzen dürfen nur Berufs- und Zeitsoldaten oder Wehrdienstleistende teilnehmen, die den Grundwehrdienst von neun Monaten freiwillig verlängern. Derzeit befinden sich etwa 6000 Soldaten im Auslandseinsatz.

Auch der Vizechef des Bundeswehrverbands, Ulrich Kirsch, schlug Alarm. Bei Unteroffizieren und Mannschaften sei die Zahl der Bewerber und Anwärter im Vorjahresvergleich um mehr als 50 Prozent gesunken, sagte er der Neuen Osnabrücker Zeitung. Zwar bekomme ein Soldat in Afghanistan 92 Euro steuerfreien Zuschlag pro Tag, doch "Bezahlung ist eben nicht alles", betonte Kirsch.

Der hinterhältige Anschlag zeige, dass Tod und Verwundung Teil des Einsatzes am Hindukusch seien. Darauf müsse die Bundesregierung mit verstärkten Anstrengungen beim Aufbau eines funktionierenden Polizeiapparates, aber auch mit weiteren, verbesserten Schutzmaßnahmen für die Soldaten reagieren, sagte Kirsch.

Jeder fünfte Afghane unterstützt Gewalt gegen Schutztruppen

Mit dem jüngsten Todesfall beim Sprengstoffanschlag in der Nähe von Kundus im Norden Afghanistans erhöht sich die Zahl der seit Beginn des Einsatzes 2002 ums Leben gekommenen deutschen Soldaten der internationalen Afghanistan-Schutztruppe Isaf auf 28. Es war der schwerste Anschlag auf die Bundeswehr in Afghanistan in diesem Jahr.

Mit bis zu 3500 Soldaten stellt die Bundeswehr das größte Kontingent der Isaf in Afghanistan. Deutschland hat als Führungsnation die Verantwortung für die Nordregion. Es stellt dort die einzigen Aufklärungskapazitäten, betreibt als logistische Drehscheibe den Flughafen von Mazar-e-Sharif und hat dort die Reserve für die Nordregion stationiert. Über das Engagement im Norden hinaus unterstützt die Bundeswehr die Isaf landesweit mit Kräften für Lufttransport, medizinische Evakuierung und Führungsunterstützung. Zudem sind nach wie vor Bundeswehrsoldaten in Kabul und Fernmeldespezialisten im südafghanischen Kandahar stationiert.

Ulrich Kirsch warf der internationalen Gemeinschaft auch vor, zu sehr auf die militärische Karte gesetzt zu haben. Im Bayerischen Rundfunk sagte Kirsch, weil der Aufbau von Polizei, Justiz und Verwaltung in Afghanistan nicht vorankomme, erreiche man auch nicht die Herzen und Köpfe der Menschen. Das verschaffe den Taliban neuen Rückhalt.

Einer jüngsten Umfrage zufolge, die im Auftrag von ARD, ABC und BBC unter mehr als 1300 Menschen in Afghanistan durchgeführt wurde, genießt Deutschland jedoch weiterhin hohes Ansehen am Hindukusch. Doch die ausländischen Truppen werden in den verschiedenen Regionen unterschiedlich betrachtet: Während die Unterstützung für die Isaf im Nordosten stieg, sank sie im Südwesten des Landes. Der Grund: Vor allem bei US-Angriffen kamen immer mehr Zivilisten ums Leben. Das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit der ausländischen Schutztruppen sinkt.

Zwar stellen nur wenige Afghanen die Anwesenheit ausländischer Truppen an sich in Frage. Oft werden sie sogar als zu schwach und zu wenig präsent im Kampf gegen die Taliban angesehen. Bei der Frage nach dem Abzugstermin zeigt sich die Bevölkerung zunehmend gespalten. Doch Sorge dürfte der Isaf auch die zunehmende Zustimmung zu Anschlägen bereiten: Im Nordosten von Afghanistan, wo die Bundeswehr im Einsatz ist, zeigt fast jeder fünfte Sympathie für Gewalt gegen die ausländischen Schutztruppen.

Linke fordert Truppenabzug aus Afghanistan

Verteidigungsminister Franz Josef Jung betonte, der Bundeswehreinsatz in Afghanistan dürfe nach dem Angriff auf die Fallschirmjäger nicht infrage gestellt werden. Jung wies darauf hin, dass sich die Sicherheitslage im Norden des Landes seit einiger Zeit verschärft habe. Deshalb sei das Wiederaufbauteam in Kundus bereits verstärkt worden. Vor Selbstmordanschlägen sei man aber nie gefeit, räumte der Minister ein.

Auch der Wehrbeauftragte Reinhold Robbe unterstrich, verlässliche Hinweise, dass die deutschen Truppen verstärkt Ziel von Anschlägen seien, gebe es nicht. Die Ausrüstung und das Sicherheitskonzept der Bundeswehr in Afghanistan müssen seiner Ansicht nach immer wieder neu auf den Prüfstand gestellt werden. Zudem forderte die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Ulrike Merten, Konsequenzen aus der verschärften Sicherheitslage in Afghanistan zu ziehen. Die Nato müsse für das ganze Land eine zusammenhängende Strategie entwickeln.

Die Grünen-Parlamentarier Kerstin Müller und Winfried Nachtwei verlangten angesichts der steigenden Zahl von Zivilopfern bei Luftangriffen erneut einen Kurswechsel. Solche Luftwaffeneinsätze zerstörten "die Legitimität der internationalen Präsenz", warnten Müller und Nachtwei. Die Bundesregierung müsse auf Ebene des Nato-Rates für einen schnellen Kurswechsel sorgen. Und die Linke machte sich erneut für einen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan stark.

Realistisch sind die Aussichten darauf nicht: Die Bundesregierung will die Mandatsgrenze für den Einsatz im Herbst um 1000 auf bis zu 4500 Soldaten erhöhen. Beobachtern zufolge äußern inzwischen zwar auch hohe Militärs bei der Nato sowie im Isaf-Hauptquartier Zweifel, ob der Krieg in Afghanistan mit militärischen Mitteln zu gewinnen ist. Doch wird auch immer wieder betont, dass ohne militärisches Engagement ein staatlicher Wiederaufbau nicht möglich sei.

Von den Fortschritten beim Wiederaufbau hängt die weitere Entwicklung in Afghanistan ab: Der Umfrage von ARD, ABC und BBC zufolge sehen die Menschen im Norden des Landes erheblichere Fortschritte beim Bau von Straßen und Brücken, bei der Versorgung mit sauberem Wasser sowie beim Angebot an Schulen als noch vor einem Jahr. Rückschläge gibt es der Befragung zufolge allerdings bei der Versorgung mit Strom und Heizöl, bei der Schaffung von Arbeitsplätzen und beim Aufbau der Polizei.

© sueddeutsche.de/dpa/AP/AFP/cag - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: