Merkels USA-Antrittsbesuch:24 Stunden zur Seelenmassage

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Warum die Kanzlerin es sich erlauben darf, mehr auszusprechen als andere vor ihr.

Christoph Schwennicke

Und dann kommt sie glücklicherweise doch noch zu guter Letzt, die Frage, auf die alle gewartet haben, hier im pompösen East Room des Weißen Hauses. Ob es denn mit Gerhard Schröder oder der Kanzlerin besser sei, wird George Bush gefragt, und schon während der Frage macht der Präsident ein Gesicht, bei dem es niemanden mehr gewundert hätte, wenn er mit dem Zeigefinger das untere Lid etwas tiefer gezogen hätte. Also erst mal Grüße an Gerhard Schröder, sagt der Präsident dann, er habe viel Zeit mit ihm verbracht: "Ich hoffe, es geht ihm gut."

Mit der Kanzlerin teile er die Erfahrung, nicht eben mit einem landslide, einem erdrutschartigen Wahlsieg, ins Amt gekommen zu sein, flachst Bush. Da lacht man nicht nur im Saal, auch die Kanzlerin muss lachen. Im Gespräch habe er sie als smarte und geistreiche Partnerin erlebt, "uplifting", erhebend, sei es, mit ihr zu reden. Vor allem berührend, wenn sie über ihre Erfahrungen aus dem "kommunistischen Deutschland" erzähle. Man werde auf allen Wegen weiter miteinander sprechen. Und jetzt, sagt der Präsident mit diesem Bush-Zwinkern, "führe ich sie zum Essen aus".

Eine neue Romanze?

Eine Pressekonferenz im großen Saal des Weißen Hauses ist ein Ereignis, "zwei Minuten noch bis zum Programm" mahnt eine showmasterhafte Stimme vor dem Einmarsch von Präsident und Kanzlerin. Es vollzieht sich auch tatsächlich etwas Sehenswertes. Merkels Pressekonfernz mit Bush nach ihrem 45-minütigen Tete-á-tete beginnt ziemlich förmlich und sachlich. Keine Spur von dieser "I like that guy"-Show, die Bush einst mit Schröder im Oval Office abgezogen hatte. Es dauert auch einige Zeit, bis Angela Merkel zum ersten Mal ihren Kopf zu Bush hinwendet, als sie redet, während er sich ihr, einen Arm aufs Pult gestützt, betont interessiert zuwendet und sie mustert. Einmal, als sie die guten Grundlagen für die Beziehungen beschreibt, wirkt es fast, als werde er ein bisschen rot. Einmal redet sie einfach weiter, als Bush eigentlich noch etwas sagen will. Dann rauschen sie beide ab zu besagtem Essen.

Eine Romance, eine neue Romanze, wie es amerikanische Zeitungen vorhersahen, sieht sicher anders aus. Aber ein gutes vertrauensvolles, sachliches Verhältnis ist vielleicht ohnehin angebrachter, und insgesamt hat Angela Merkel die Sehnsüchte der USA nach einer neuen Kanzlerin sicher zufrieden gestellt.

Sie nutzt dabei die Chance, den Präsidenten direkt mit ihrer Kritik am umstrittenen Gefangenenlager Guantanamo auf Kuba zu konfrontieren. Das hält Bush nicht davon ab, Deutschland als "geschätzten Partner", mit dem die USA gemeinsame Werte und Ziele teile, zu würdigen. Und Einigkeit herrscht zwischen beiden auch darüber, so berichtet der Präsident, dass der Atomstreit mit Iran diplomatisch gelöst werden solle.

Alles hat ja schon so verheißungsvoll angefangen am Donnerstagabend bei einem Dinner in der deutschen Botschaft. Für den Fall, dass das künftige deutsch-amerikanische Verhältnis William Cohen ins Gesicht geschrieben war, müsste man sich jedenfalls wenig Sorgen machen. Es wäre gesichert, dass man transatlantisch wunderbaren Zeiten entgegen geht. Vielleicht ist der schriftstellernde ehemalige Verteidigungsminister ja auch einfach ein Romantiker oder sentimentalisch, wie es Dichter mitunter zu sein pflegen. Auf alle Fälle blickte er von seinem Stuhl, gleich zu Füßen des Rednerpultes in der deutschen Botschaft in Washington, die Gastrednerin so beseelt an, als habe er eine Erscheinung.

Sie sei "zu Gast bei Freunden", hatte die Bundeskanzlerin da schon formuliert, und etwas später erntete sie den meisten Beifall für ihre Aussage, dass es das Schlimmste wäre, wenn man unter Freunden nicht den Mut aufbrächte, sich die Wahrheit zu sagen. Dann würde man sich immer nur erzählen, "wie schön das früher alles war" und würde nicht die Kraft aufbringen für eine neue Debatte. Beifall, sehr viel Beifall.

Es ist eine erstaunliche Stimmung zu erleben bei diesem Antrittsbesuch der Bundeskanzlerin in Washington, bei diesem ersten offiziellen Treffen zwischen Angela Merkel, seitdem sie im Amt ist, und dem Präsidenten der USA, George Bush. Alle machen so einen erleichterten Eindruck und sind so voll guten Willens: Der deutsche Botschafter Wolfgang Ischinger, der vor seinen 190 amerikanischen und deutschen Gästen die amerikanische Seele bei Merkels Vorstellung gezielt mit zweien ihrer Zitate massierte: In einem definierte sie den Staat als Gärtner und nicht als Zaun. Für diese Metapher hat sie zu Hause viel Hohn abbekommen, in den USA kommt sie aber gut an. Für das zweite Zitat gilt das Nämliche, es handelte von Merkels Freiheitsbegriff.

Das ganz große Besteck

Man nimmt sich von Anfang an Zeit füreinander. Alan Greenspan, der scheidende, mächtige Notenbankchef, dessen Brille im Lauf seines Lebens immer größer und dessen Gesicht immer kleiner geworden zu sein scheinen, erlebte als Tischnachbar Merkels geradezu physisch deren hohes Interesse an seiner Person. Colin Powell flankierte Merkel zu ihrer Linken, und gegenüber am Tisch saß Madeleine Albright, und hätte sich Henry Kissinger nicht einen komplizierten Bruch zugezogen, wäre sogar ein dritter vormaliger US-Außenminister zu Merkels Ehren am Tisch gesessen. Aus ihrer Rede war ohnehin der Eindruck zu gewinnen, sie würde mit Old Henry mindestens einmal in der Woche des Langen und Breiten telefonieren. Und falls nicht, dann liest sie seine Interviews zum Verhältnis zwischen Europa und der Nato, weil seine Fragen so "stimulating" seien.

Am Freitagmorgen dann, nach dem deutsch-amerikanischen Abend in der Botschaft, hatte Merkel schon ein Frühstück mit einem Dutzend Kongressabgeordneter hinter sich, bevor sie vom Präsidenten empfangen wurde. Eine halbe Stunde allein, eine knappe Stunde mit der Delegation, eine halbe Stunde Pressekonferenz und noch ein Mittagessen, ergänzt um Leute wie Bushs Frau Laura, Außenministerin Condoleezza Rice und Sicherheitsberater Stephen Hadley. Drei Stunden mit Bush insgesamt, das ist schon das große Besteck, das der Präsident da auflegen ließ. Wenn er nicht müde werde und einen guten Tag habe, dann sei eine halbe Stunde Privataudienz schon eine große Chance, sagte ein Kenner der Gepflogenheiten des Weißen Hauses und der feinen Unterschiede, die dort gemacht werden können.

Dieser Antrittsbesuch ist ein politischer Spaziergang. Vielleicht, selbst wenn sie das so nie sagen würde, muss die Kanzlerin ihrem Vorgänger auf gewisse Art dankbar sein: Wo lange kein Wasser auf die Erde fiel, saugt der Boden gierig jeden Tropfen auf.

Und Merkel hat schon vor einiger Zeit gesät. Im Februar 2003 konnte sie bei einem Besuch bei Bush im Weißen Haus Eindrücke hinterlassen, die in den USA bis heute nicht vergessen sind - in Abgrenzung von Schröders unerbittlichem Kurs gegen den Irak-Krieg. "Schröder spricht nicht für alle Deutschen", hatte sie damals für eine amerikanische Zeitung geschrieben.

Freier und authentischer

Und so wie Schröder bei der Bundestagswahl 2002 die Ernte einfuhr, so erntet Merkel jetzt. Sie kann beim Empfang in der Botschaft Dinge sagen wie zum Beispiel, dass sie sich freuen würde über den ersten Amerikaner, der Airbus als eine gute Konkurrenz für Boeing begreife. Sie kann in Anspielung auf den Selbstzentrismus der USA sagen, dass sie "nicht unbedingt die Amerikaner fragen würde, wo die Grenzen von Europa liegen", wenn es um die Erweiterung der EU geht. Sie kann aussprechen, wofür die Politiker von Rot-Grün mit eisigem Schweigen bedacht worden wären.

Selbst Guantanamo zu kritisieren, konnte Merkel sich schon vor Antritt ihrer Reise erlauben, was natürlich ein Novum aus ihrem Munde war. Auch wenn ihr Regierungssprecher so fröhlich und ohne Arg strahlt und behauptete, dass sie das schon immer gesagt habe. So überzeugend, dass man fast glaubt, alle Archive, Suchmaschinen und man selbst müssten das Gedächtnis verloren haben. Immerhin befände man sich mit dieser Amnesie in prominenter Gesellschaft, denn auch Merkels Duz-Freund Guido Westerwelle formuliert, eine "derart klare Aussage hat es von ihr bisher nicht gegeben".

Natürlich war die Aussage neu, natürlich ist sie provokant, und doch bleibt sie bei diesem Besuch ohne erkennbare Folgen. Viel eher zeichnet sich ab, dass die Kluft aus der Zeit des Irak-Krieges nun beim Umgang mit dem das Atomsiegel brechenden Iran überwunden werden kann. Die USA sind auf die Unterstützung Russlands und Chinas angewiesen - und dabei kann Europa, also auch Deutschland, hilfreich sein.

Die Selbstsicherheit von Merkels Auftreten auf internationalem Terrain ist beachtlich. Sie war schon vor einigen Wochen in Brüssel, Paris und Warschau zu beobachten. Und sie scheint noch gewachsen zu sein bei dieser USA-Reise. Gelöster als vor der Wahl wirkt Merkel, viel gelöster. Und freier, autonomer und authentischer in ihren Formulierungen. Wer glaube, "mit zwei, drei Stunden" pro Jahr sei es getan im transatlantischen Verhältnis, so spielte sie am Donnerstagabend auf den US-Reisemuffel Schröder an, "der irrt". Man müsse sich Zeit nehmen füreinander. Zeit sei das knappste Gut: "So lange wir uns die Zeit nehmen, steht es gut." Es sind insgesamt etwa 24 Stunden, die Angela Merkel in Washington verbringt.

Immerhin.

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