Merkels Führung:Christliche Koalitionspolitik

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Man sucht die politische Handschrift der Kanzlerin - findet aber nur drei Kreuze.

Von Heribert Prantl

Die Rückkehr zu bürgerlichen, christlichen oder preußischen Tugenden gehört, wie die Bundeskanzlerin gerne betont, zu den Zielen, die sich ihre Regierung gesetzt habe. Die Koalition machte daher die Generalaussprache zum Kanzlerhaushalt zu einem Bestandteil der so genannten Wertedebatte: Man demonstrierte diesmal die Tugend der Bescheidenheit.

Die Reden der führenden Regierungspolitiker waren von so bescheidener Qualität, als habe man sich vorgenommen, die Verzwergung der Politik rhetorisch und intellektuell darzustellen. Die Kanzlerin begann ihre Rede zunächst so, als wolle sie ganz, ganz grundsätzlich werden; aber sie wurde schnell ganz, ganz unpräzise und ganz, ganz leidenschaftlos.

Aggressive Fragen der Opposition

Den bevorstehenden Libanon-Einsatz der Bundeswehr verhandelte sie so, als ginge es um den morbiditätsrorientierten Risikostrukturausgleich, um irgendeine Facette der Gesundheitsreform also. Vielleicht war ihr einschläfernd floskelhaftes Reden Taktik, um zu verbergen, in welche Gefahren man die Bundeswehr schickt; es wäre dies verantwortungslose Taktik. In eine militärische Mission von dieser Historizität kann man das Land und seine Soldaten nicht salbadernd geleiten.

Den geschickt zupackenden, zum Teil aggressiven Fragen der Opposition (maliziös Oskar Lafontaine, handfest Fritz Kuhn und geistreich Guido Westerwelle) hatten weder die Kanzlerin, noch die Koalitions-Fraktionschefs Struck und Kauder etwas entgegenzusetzen. Wer die "Zukunft nicht verbrauchen, sondern gestalten will", so die Kanzlerin in einer merkwürdig eschatologischen Redewendung, sollte selber zu dieser Zukunftsgestaltung, also etwa zum Friedensprozess im Nahen Osten, etwas Klares zu sagen haben. Man sucht die eigene Handschrift der Kanzlerin - und findet an deren Stelle leider nur drei Kreuze.

Fehlende Nachhaltigkeit bei den Redestrukturen

So ist das auch bei den klassischen Reform-Themen dieser Regierung, bei der Gesundheits-, Arbeitsmarkt- und Steuerreform. Die Reformpolitik der großen Koalition funktioniert mittlerweile nach dem Motto: Ich lasse ein wenig ab von meinen Vorstellungen, wenn du dasselbe tust - und den verbleibenden Rest nennen wir Reform, egal, wieviel Sinn er macht.

So ist es bei der Gesundheitsreform, so ist es im Arbeitsrecht. Die CDU signalisiert, nun doch nicht auf der Änderung des Kündigungsschutzes zu bestehen (was eh ein törichter Vorschlag war), und dafür zu fordern, dass Müntefering auf der gesetzlichen Absicherung eines Mindestlohnes verzichtet. Das ist nicht Ringen um Kompromisse, das ist die Präsentation sehr kleiner, eher zufälliger Lösungen für sehr große Probleme.

Mit Süffisanz und mit Recht warfen die Oppositionsredner der Kanzlerin fehlende Nachhaltigkeit bei ihren "Redestrukturen" (so Fritz Kuhn) vor. Zuletzt, das war im Juni, sprach die Kanzlerin selbst vom "Sanierungsfall Deutschland" - jetzt wirft sie der Opposition vor, das Land auf solche Weise schlecht zu reden. Das ist nicht einfach schlechte Rhetorik. Das ist Spiegel schlechter Politik.

© SZ vom 7.9.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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