Merkel und die CDU:Eine Krise? Welche Krise?

Lesezeit: 3 min

Bei den Christdemokraten ist man darum bemüht, schnell wieder einig und schlagkräftig zu wirken. Dabei weiß jeder in der Union, dass es schwere Fehler gegeben hat - politischer, aber auch persönlicher Art.

Von Susanne Höll

Dass die Union im Allgemeinen, im Besonderen aber die CDU und sie selbst in der Krise sind - das würde Angela Merkel niemals sagen, jedenfalls nicht laut. Wer zu ihrer Führungsmannschaft gehört, hält es ebenso, zumindest in der Öffentlichkeit.

Am Dienstag äußerten sich zum Beispiel der Parlamentarische Geschäftsführer der Bundestagsfraktion, Volker Kauder (CDU), und CSU-Landesgruppenchef Michael Glos - jene beiden, die in jeder Sitzungswoche des Bundestages die Journalisten für ihre politische Weltsicht zu gewinnen suchen.

Hörte man ihnen zu, konnte man zu dem Eindruck gelangen, es sei nichts passiert in der vergangenen Woche: kein Fiasko wegen der Unterschriftensammlung gegen den EU-Beitritt der Türkei, kein Rückzug von Friedrich Merz, kein Personalproblem, kein Gesundheitsstreit, keinerlei Verschwörungsgerede.

Über Krisen sprachen die beiden schon - aber nur über die Krisen bei Opel und Karstadt-Quelle, die von der Bundesregierung mitverursacht worden seien. Die Unionsführung habe sich selbst keine Fehler und Schwächen zuzurechnen bei diesem wohl schlimmsten Debakel seit der CDU-Spendenaffäre, befand der ansonsten meist um Ehrlichkeit bemühte Kauder: "Ich erkenne keine."

Das stimmt so natürlich nicht, denn von Merkel und CSU-Chef Edmund Stoiber abwärts weiß jeder in der Union, dass es schwere Fehler gegeben hat - politischer, aber auch persönlicher Art.

Auch bei internen Treffen im größeren Kreis wurde - abgesehen vom Ausbruch der Abgeordneten Vera Lengsfeld in der Fraktionssitzung am Dienstag - keine Schadensbilanz gezogen oder Selbstkritik geübt: im CDU-Präsidium nicht, auch nicht bei den Sitzungen der Fraktionsspitze oder bei Abgeordnetentreffen.

Die ebenso überraschende wie erklärungsbedürftige Entscheidung Merkels, Justiziar Ronald Pofalla zum halben Merz-Nachfolger zu machen, wurde im Fraktionsvorstand nach Angaben von Teilnehmern frag- und widerspruchslos akzeptiert.

Beim Treffen der CSU-Landesgruppe, die über geübte Lästermäuler verfügt, gab es, wie Teilnehmer berichten, keine Fragen zu den jüngsten Geschehnissen, keine Häme über die CDU, keine Debatten über Versäumnisse. "Es wird nicht an den Themen gerührt - aus Furcht, es könnte eine neue Katastrophe geben", sagt jemand, der sich in den Schwesterparteien gut auskennt.

Angststarre nennt man so ein Verhalten wohl: Verunsichert und bange sind die erfolgsverwöhnten Christdemokraten und die Christsozialen; sie scheinen nicht verstanden zu haben, was da über sie und die Union gekommen ist.

Nichts ist dieser Tage mehr zu spüren von der fast aufdringlich lauten Selbstherrlichkeit, mit der sich viele Unionspolitiker die Serie der Wahlerfolge bis einschließlich 2006 im Vorhinein ausgemalt hatten.

Stattdessen kursieren Katastrophen-Szenarien. Was geschieht, wenn nächstes Jahr die Wahlen in Schleswig-Holstein und in Nordrhein-Westfalen verloren gehen sollten? Gibt es dann einen Putsch gegen Merkel? Übernimmt ein Roland Koch oder ein Christian Wulff dann den Parteivorsitz? Kehrt Friedrich Merz als Fraktionschef zurück?

Dass das Unsinn sei, beteuern wiederum andere - nicht, weil sie die Lage schönreden wollen, sondern weil sie meinen, dass das Fehlen einer überzeugenden personellen Alternative derzeit die größte Stärke Merkels sei.

Sie finden auch, man könne die Bundestagswahl 2006 gleich verloren geben, wenn man im nächsten Jahr einen Riesen-Aufruhr veranstalten und jemand anderen als die CDU-Chefin zum Kanzlerkandidaten küren würde. Aber dass sich etwas ändern muss, da sind sich die Oberen von CDU und CSU offenkundig einig. Schließlich ist auch die Basis inzwischen nervös geworden.

Vereinbarungen per Telefon über pfleglicheren Umgang

Der Chef der nordrhein-westfälischen CDU-Landesgruppe und Vize-Bundestagspräsident Norbert Lammert etwa soll im CDU-Präsidium höchst eindringlich ein Ende des Streits um die Gesundheitspolitik gefordert haben - und damit eine Union, auf die man wieder stolz sein kann.

Erste Anläufe zur Besserung haben Merkel, Stoiber und auch CSU-Vize Horst Seehofer, so wird erzählt, in den vergangenen Tagen unternommen. Am Telefon oder auch persönlich sollen sie geredet und bei Dritten anschließend den Eindruck erweckt haben, dass man künftig pfleglicher miteinander umzugehen gedenke - in der Sache und auch persönlich.

Ob das gelingt, wird sich schon in den nächsten Wochen bei dem Versuch erweisen, einen ebenso plausiblen wie tragfähigen Kompromiss im Streit um die Gesundheitsreform zu erzielen.

© SZ vom 20. Oktober 2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: