Merkel und die Atomenergie:Die traut sich was

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Die Kanzlerin setzt wieder auf Kernkraft - das kann im Wahlkampf zum Hit oder zum Rohrkrepierer werden.

Stefan Braun

Immer dann, wenn Ronald Pofalla glaubt, er habe eine besonders tolle Idee gehabt, platzt der CDU-Generalsekretär vor Stolz und ist kaum noch zu bremsen.

Setzt auf Kernkraft: die CDU-Vorsitzende und Bundeskanzlerin Angela Merkel (Foto: Foto: dpa)

Bei der Präsentation des Umweltpapiers der Parteispitze prägte er den Satz, Atomenergie sei für die CDU eine Öko-Energie - und kam dabei fast ins Träumen über sich selbst.

Kein Mensch weiß, ob er diesen Spruch noch mal bereuen wird. Alle Welt aber kann jetzt schon sicher sein, dass es bei der Wahl 2009 ein Thema geben wird, das jedes Potential hat, zu einem Reizthema zu werden: die Zukunft der Energieversorgung und der Atomkraft. Die CDU hat sich entschieden. Sie will die Debatte führen.

Und das hat Folgen. Der kleine, aber klare Hinweis in dem CDU-Papier auf eine Verlängerung der Laufzeiten für die Atomkraftwerke ist nichts anderes als das nun schriftlich fixierte Ziel, den Ausstieg aus dem Ausstieg durchzusetzen. Für die Grünen entspräche dies dem Abschneiden ihrer eigenen Wurzeln. Wer auf eine Wiederbelebung der Atomkraft setzt, muss auf ein Bündnis mit ihnen verzichten.

Die noch spannendere Frage allerdings lautet, ob die CDU mehr als zwanzig Jahre nach Tschernobyl einen solchen Wahlkampf gewinnen kann. Über Jahrzehnte war eine Debatte über die Atomkraft für jeden Parteistrategen so etwas wie das Betreten einer No-go-Area. Keiner hätte sich auf dieses Terrain begeben, zu überwältigend war die Mehrheit der Atomkraftgegner.

Ein kleiner Unfall reicht für ein großes Debakel

Mittlerweile aber hat sich die Lage dramatisch geändert. Die Energiepreise zehren am Haushaltsbudget aller Familien. dadurch wird die Energieversorgung zu einem sozialen Thema. Es geht nicht mehr nur um die Stromsicherheit, es geht auch darum, ob sich die Mehrheit der Verbraucher hierzulande Strom, Gas und Auto noch leisten kann.

Und das auch, weil der Klimawandel eine Geschwindigkeit angenommen hat, die das Verbrennen fossiler Brennstoffe wie Kohle oder Gas fast schon verbietet. Daraus ergibt sich eine Begegnung mit der Wirklichkeit, wie sie klarer nicht sein könnte: Strom haben wie bisher, mobil sein wie bisher, wirtschaftlich wachsen wie bisher, dazu die Atomkraft beenden und die Kohleverstromung ebenso - das wird nur im Märchen möglich sein. Daraus muss eine politische Auseinandersetzung erwachsen.

Dass die CDU sich das traut, ist kein Zufall, es ist seit langem Angela Merkels Überzeugung. Nach dem Start der großen Koalition verwies sie auf den Koalitionsvertrag, der mehr Atomkraft ausschließt. Heute wiederholt sie das zwar, aber stets mit dem Zusatz, sie werde es beim nächsten Mal ändern. Merkel geht ein großes Risiko ein.

Ein kleiner Unfall in Brunsbüttel würde genügen, und aus dem Thema könnte ein Debakel werden. Andererseits zeigen Umfragen, dass die Bevölkerung in der Frage gespalten ist. Mit anderen Worten: Die alte Mehrheit gegen die Kernkraft ist verschwunden. Darauf wird die CDU-Vorsitzende ihre Hoffnungen setzen.

© SZ vom 25.6.2008/odg - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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