Merkel in Peking:Solides Fundament

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Die Beziehungen zu China sind erstaunlich stabil. Gerade weil sich die Chinesen dem Dialog schon aus wirtschaftlichen Gründen nicht verweigern, redet man auch über die Menschenrechte.

Von Nico Fried

Chinesische Ministerpräsidenten führen Angela Merkel gerne zum Spaziergang aus. Vor neun Jahren geleitete Wen Jiabao mit lässig geöffnetem Hemdkragen die Kanzlerin an den Außenmauern der Verbotenen Stadt entlang. Jetzt empfing sein Nachfolger Li Keqiang die Deutsche zum Sonntagsspaziergang am Sommerpalast. Das ist eine persönliche Freundlichkeit, aber auch eine Ehrbezeugung gegenüber dem wichtigsten Partnerstaat in Europa und der Verlässlichkeit im deutsch-chinesischen Verhältnis.

Es mag befremdlich klingen, aber tatsächlich sind die politischen Beziehungen Deutschlands wohl zu keinem der großen Staaten außerhalb Europas so stabil wie zu China. Das deutsch-amerikanische Verhältnis war am Ende der Kanzlerschaft Gerhard Schröders schwer angeschlagen und ist unter Merkel wieder enger geworden. Mit den Beziehungen zu Russland verhält es sich genau umgekehrt. Der deutsch-chinesische Oszillator aber zeigt seit Jahren keine nennenswerten Ausschläge an, nicht nach oben, nicht nach unten. Es ist eine Mischung aus Kontinuität und Stagnation.

Gerade Dialog führt dazu, dass man auch über Repression redet

Noch vor wenigen Jahren galt die Ausbreitung der Demokratie als unaufhaltsam. Ökonomisches Wachstum führe zu gesellschaftlicher und schließlich zu politischer Modernisierung, so lautete die gängige Theorie. China sollte dafür zum Paradebeispiel werden. Das erwies sich als Irrtum, ob wegen der Rigidität, mit der sich das nur noch auf dem Papier kommunistische System dem Wandel widersetzt, oder wegen des mangelnden Hangs zum Aufbegehren einer traditionell konfuzianischen Gesellschaft, oder auch wegen beidem, sei dahingestellt. Unaufhaltsam erscheint in China, trotz mancher Einbrüche, nur die wirtschaftliche Entwicklung. Politisch bleibt es repressiv. Das ist die Stagnation.

Doch hat sich aus europäischer Perspektive der Trend der Demokratisierung, der so zwangsläufig erschien, vielerorts dramatischer als in China ins Gegenteil verkehrt: Dafür steht die arabische Welt, wo der politische Frühling in Ägypten steckengeblieben ist und in Syrien unter Schutt und Asche liegt. Dafür steht Russland, wo innenpolitischer Reformstau außenpolitisches Muskelspiel animiert; dafür steht die Türkei des Autokraten Erdoğan. Europa, selbst nicht in bester Verfassung, ist im Süden wie im Osten umzingelt von politischen Problemfällen.

So gesehen sind - bei allen Mängeln - die Beziehungen zu China in ihrer Berechenbarkeit geradezu ein Wert an sich. Es gibt zwischen Berlin und Peking ein beachtliches Maß an Dialog und Austausch, auch wenn da die konkreten Ergebnisse mit der Entwicklung der Wirtschaftsbeziehungen noch lange nicht mithalten können. Diese Solidität in den Beziehungen rechtfertigt es nicht, die Missachtung von Menschenrechten zu ignorieren. Im Gegenteil wächst der Anspruch, die vielen Kanäle intensiver zu nutzen. Aber zum ganzen Bild gehört auch, dass die Menschen, die in wachsender Zahl aus China nach Deutschland kommen, Studenten, Fachkräfte und Investoren sind. Und keine Flüchtlinge.

© SZ vom 13.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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