Merkel in Brüssel:Die eilige Maklerin

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Auf ihrem ersten europäischen Gipfel trifft die Bundeskanzlerin in einer ganz neuen Rolle auf alte Streithähne.

Martin Winter

Es geht um einen neuen Auftritt und um alte Erwartungen. Angela Merkel steht auf ihrem ersten europäischen Gipfel. Man ist nett zu ihr. Tony Blair vergisst zwar, die linke Hand aus der Hosentasche zu nehmen, als er sie begrüßt. Dafür zeigt er strahlend seine Zähne. Britisch-lässig halt. Jacques Chirac übt sich wieder einmal in der Kunst des elegant gehauchten Handkusses als höchster Form deutsch-französischer Freundschaftsbekundung. Und EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso gerät dermaßen ins Schwärmen über die Frau aus Berlin, dass man ins Grübeln geraten könnte. Aber nicht muss.

Der Mann sucht starke Verbündete, seit sein Freund Blair ihn enttäuscht. Merkel lächelt zu allem und zu allen, aber mit der unverkennbaren Botschaft, Freundlichkeit bitteschön nicht für Naivität zu nehmen. Die Kanzlerin ist vorgewarnt. Am Tisch der Chefs machen sich die Alteingesessenen einen Sport daraus, die Neuen zu testen. Und sie über den Tisch zu ziehen, was ein Land mit frischer Regierung ziemlich teuer zu stehen kommen kann, wenn es, wie diesmal wieder, um viel Geld geht. Während am Freitag hinter verschlossenen Türen und in den kafkaesken Fluren des Ratsgebäudes zu Brüssel auf Papiere gewartet und nach Lösungen im Finanzstreit gesucht wird, erzählt man sich darum am Rande, wie sie denn so war, die Neue, beim Abendessen. Entspannt sei sie gewesen und selbstbewusst. Und witzig.

Witzig? Nun ja. Als gleich fünf ihrer Kollegen beanspruchen, die größten Beitragszahler in der Union zu sein, da entfährt ihr: "Ach ich dachte, wir Deutschen wären das!" Da haben die anderen gelacht, und Merkel hat den Ruf weg, ein Mensch mit Humor zu sein. So weit zur komischen und unterhaltsamen Seite des Gipfels, außer dass noch Silvio Berlusconi zu erwähnen wäre, der wieder einmal originell sein will. Weil bald Weihnachten ist, könne doch jeder ein Prozent oben drauf legen, meint er. Da ist die Runde wenig amüsiert, aber man kennt ja Silvios bizarre Einfälle. Ansonsten wandte man sich dem eigentlichen Geschäft zu - und das war bitterernst.

Wie man weiß, hört beim Geld eben die Freundschaft auf, und wenn es dann auch noch um die Ehre von Nationen geht, wird es richtig kompliziert. Und je komplizierter es in europäischen Geldfragen wird, desto stärker drehen sich die Köpfe Richtung Deutschland. "Merkel kann wirklich den Ausschlag geben", sagt einer, der mit am Gipfeltisch sitzt und nicht genannt werden darf, weil das natürlich alles viel zu sensibel ist.

Vielleicht sollte man zu den Eigenschaften der Kanzlerin noch das Wort Klugheit hinzufügen. Sie fällt jedenfalls nicht der Versuchung anheim, starke Muskeln spielen zu lassen. Man suche die Rolle des Vermittlers nicht, aber man nehme sie an, wenn sie einem zufalle - allein das mag man in der deutschen Delegation einräumen, wohl auch deswegen, weil es gar keine Alternative gibt. Darauf setzt auch Premierminister Tony Blair, der der EU noch bis Ende des Jahres vorsitzt und die britische Präsidentschaft mit einer Einigung über die "finanzielle Vorausschau für die Jahre 2007 bis 2013" wenn schon nicht krönen, so doch zumindest zu einem halbwegs anständigen Ende bringen will. Aber das kriegt er alleine nicht hin.

Eine Frage der Ehre

Mit den Franzosen, denen die Briten eh nicht grün sind, hat er sich wegen des britischen Beitragsrabatts und der Agrarpolitik verhakelt. Und die Polen sind höchst verärgert, weil London nicht nur den Sparhaushalt durch Kürzungen gerade bei den Ärmsten durchsetzen will, sondern weil sich der britische Botschafter in Warschau passend zum Gipfel auch noch abfällig über sein Gastland geäußert hatte. Da muss obendrein die verletzte Ehre wiederhergestellt werden. Das alles ist nicht einfach, weshalb Blair die deutsche Hilfe sucht. Merkel soll die Franzosen und die Polen für einen Kompromiss gewinnen.

So trifft sie sich in schneller Reihenfolge mit Blair, Chirac, dem Spanier José Luis Rodriguez Zapatero, Wolfgang Schüssel aus Österreich und dem Luxemburger Jean-Claude Juncker, manchmal auch in Dreier- oder Viererrunden. Kaum in Europa angekommen, muss sie sich schon in der Kunst der Vermittlung beweisen. Dass sich das hinzieht, liegt nicht an ihr, sondern daran, dass alte Schlachtrösser wie Chirac und Blair, die jeweils innenpolitisch unter Druck stehen, der gradlinigen Vernunft der Physikerin aus Mecklenburg-Vorpommern nicht auf Anhieb zu folgen vermögen.

Nun wäre es übertrieben zu sagen, dass die Last allein auf den Schultern der Angela Merkel abgeladen wird. Blair betreibt weiter seine Strategie des Drohens und des Lockens. Wer sich später einen besseren Abschluss erhoffe, der werde enttäuscht werde, bedeutet er den armen Ländern. Und den reichen, dass sie nie wieder so wenig auf den Tisch legen müssen, wie nach dem Vorschlag aus London. Solches gehört zum klassischen Arsenal, um die europäischen Partner zu etwas zu bringen, was sie eigentlich nicht wollen, aber was noch lästiger würde, wenn sie es ungelöst ließen.

Diesen politischen Folterinstrumenten fügte Blair ein kulinarisches hinzu. Beim Dinner ließ er seinen Gästen als Vorspeise Cullen Skink servieren. Die schottische Suppe aus Kartoffeln und geräuchertem Schellfisch schmeckt vermutlich so, wie sie klingt. Zum Hauptgang wurden britische Lammkoteletts gereicht und zum Abschluss Haferkekse und britischer Käse. Man darf zwar nicht über das ausgesprochen entspannte Kamingespräch der Kanzlerin mit Journalisten schreiben. Aber soviel muss erlaubt sein: Merkel berichtete auch von britischem Rotwein, der zum Essen kredenzt wurde.

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