Merkel auf dem Gipfel:Die Auswärts-Kanzlerin

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Was nach knapp zwei Jahren Kanzlerschaft Merkels zu betrachten ist, ist eine zunehmend brillierende und mutige Auswärts-Kanzlerin und eine nach wie vor tastende und zaghafte Heim-Kanzlerin. Wer nur auswärts stark, aber zu Hause schwach ist, gewinnt keine Fans.

Christoph Schwennicke

Drei Tage Heiligendamm in zwei Sätzen und einer Frage? Erstens: Angela Merkel hat einen beachtlichen politischen Erfolg zustande gebracht und in der Klima-Vereinbarung US-Präsident George W. Bush mehr abgerungen, als zu erwarten war. Zweitens: Es wird ihr innenpolitisch wenig nutzen. Drittens: Warum gibt es diese Kanzlerin nicht in einer innenpolitischen Ausführung?

Außen-Kanzlerin Merkel auf ihrem Terrain: In Heiligendamm glänzt Merkel einmal mehr. (Foto: Foto: dpa)

Heiligendamm wird in doppelter Hinsicht eine politische Chiffre bleiben. Der Name des Ostseebades wird stehen für den Tag, an dem der US-Präsident die Macht eines konsequent einig agierenden Europa zu spüren bekam.

Und es wird stehen für eine Entfremdung und Distanz von Politik und Politikern zur Bevölkerung, wie man es in dieser Dimension noch nicht erlebt hat.

Der G-8-Gipfel von Heiligendamm war im buchstäblichen Sinne weit weg von den Menschen. Politik hat in der griechischen Polis, also mitten auf dem Marktplatz, begonnen. In diese Mitte der Menschen gehört sie auch.

In Heiligendamm hingegen hatten die politischen Akteure versucht, sich abzuschotten von den Leuten, von denen sie gewählt werden und in deren Sinne sie zu handeln verpflichtet sind.

"Wir sind das Weltvolk!"

Es war, als hätten sich die Gipfelteilnehmer auf einem anderen Planeten versammelt. Der friedliche Durchbruch der Demonstranten, bei dem sie mittels Masse durch die Polizeiketten förmlich diffundierten, war ein Triumph über diesen extremsten Abschottungsversuch der Politik, den es bisher gab.

"Wir sind das Weltvolk!", schrieben die Demonstranten den Staats- und Regierungschefs mit ihren Aktionen hinter die Ohren. "Ihr könnt euch zurückziehen, wie ihr wollt, wir werden euch so nah wie möglich auf die Pelle rücken." Und das gelang.

Die Sympathie gehörte eindeutig denen da draußen, sei es im Roggenfeld, sei es auf den Ostsee-Wellen, und nicht denen da drinnen. Die wilde Jagd des Greenpeace-Schlauchbootes durch ein knappes Dutzend Polizeiboote symbolisierte den Triumph ebenso wie der Durchbruch bis an den Zaun.

Der moralische Sieg in dieser Auseinandersetzung geht an die Demonstranten. Der furchtbare Auftakt von Rostock am vergangenen Wochenende erwies sich nicht als böses Omen, sondern als hässlicher Ausrutscher weniger, den die phantasievolle und weitgehend friedliche Protestkultur vieler beinahe vergessen machte.

Brot und Wasser, es könnte nicht symbolhafter sein, bekamen die Protestierer auf ihrem Marsch von der örtlichen Bevölkerung gereicht, bis die Behörden in ihrer Not das Wasser in manchen Orten abdrehten. Wenn die Staatsmacht so vorgeht, hat sie verloren und ihre Ohnmacht eingestanden.

Show wie bei Schröder

Der Gipfel mag also möglicherweise die Gräben zwischen den Weltenlenkern verkleinert haben und in diesem Sinne seiner ursprünglichen Kaminzimmer-Idee gerecht geworden sein. Den Graben zwischen Volk und Regierung hat er weiter ausgehoben.

Angela Merkel ist es zwar auf bemerkenswerte Weise gelungen, George W. Bush im Klimastreit ganz langsam und immer ein Stück weiter auf die Matte zu drücken und dann mit einer flinken Bewegung einen Schultersieg herbeizuführen. Ohne bisher als Medienkanzlerin apostrophiert zu sein, hat sie diesen Triumph im Übrigen aufs Feinste inszeniert und dafür gesorgt, dass sie die Kanzlerin aller Kanäle war. Spätestens nach Heiligendamm sollte keiner mehr glauben, Merkel mache weniger Show als ihr Vorgänger.

Entscheidend aber war dabei die Vorarbeit, die enge Abstimmung mit den Verbündeten, insbesondere in Europa, aber auch außerhalb des heimischen Kontinents. Bush hatte in alter Manier versucht, eine Koalition der Unwilligen gegen Merkel und Europa in der Klimafrage zu organisieren und ist damit gescheitert. Insofern hat Merkel mehr als nur einen punktuellen Sieg errungen. Es ist ein struktureller Sieg eines vereinten UN-Ansatzes über einen Alleingang der USA. Ein Sieg vieler über einen Großen.

Der Sieg hat Europas Kraft gezeigt, und er hat gezeigt: Europa spielt eine Rolle in der Welt. Europa kann führen. Es ist zu hoffen, dass dies ein gutes Zeichen ist für die Entscheidung zur europäischen Verfassung in Brüssel, mit der Merkel ihre internationale Doppelrolle beendet.

Furchtsame Zwillingsschwester

Doch all das ist lediglich die primäre politische Betrachtung, die eines Inner Circle innerhalb der Festung von Heiligendamm. Draußen, in der Wählergunst, wird Merkel dafür nicht viel dafür bekommen. Einmal wegen des beschriebenen emotionalen Flurschadens der Veranstaltung, der die Flurschäden in den Feldern um den Veranstaltungsort bei weitem übersteigt. Die Politik hat die Verbindung zu ihren Wählern selbst gekappt.

Zum zweiten in der Sache selbst. Die festgeschriebenen Ziele mögen das Maximum dessen sein, was politisch erreichbar war. Aber wenn Menschen jenseits des politischen Betriebs hören, dass die Mächtigen von G 8 ,,in Betracht ziehen'', etwas bis in 43 Jahren erreicht zu haben, dann werden sie mit Fug und Recht skeptisch. In Betracht ziehen, und sei es ,,ernsthaft'', das ist die Sprache derer, die sich nicht trauen, die die Schlupflöcher schon einbauen und die Ausflüchte schon suchen aus dem, was sie gemeinsam vereinbart haben.

Innenpolitisch kann Merkel damit kaum punkten. Wahlen und Wähler gewinnt man auch in einer noch so globalisierten Welt nach wie vor zu Hause. Und zu Hause scheint Angela Merkel eine Zwillingsschwester zu haben, die mit der energischen und zielstrebigen Außenpolitikerin nichts zu tun hat. Man wünschte, Merkel würde innenpolitisch einmal in dieser Weise agieren - "Hardball" spielen, sagen die Briten - wie sie das nun auf internationaler Bühne mit George W.Bush gezeigt hat. Ein Öko-Aktivist aus dem Osten hat einmal über Merkel gesagt, sie sei so grün wie ein Chamäleon. Das ist hübsch gesagt, aber falsch. Wäre sie wirklich ein politisches Chamäleon, hätte sie in Heiligendamm, je nach Gesprächspartner, immer die Farbe wechseln müssen. Hat sie aber nicht.

Merkels Coup von Heiligendamm

Was also nach knapp zwei Jahren Kanzlerschaft Merkels zu betrachten ist, ist eine zunehmend brillierende und mutige Auswärts-Kanzlerin und eine nach wie vor tastende und zaghafte Heim-Kanzlerin. Wer nur auswärts stark, aber zu Hause schwach ist, gewinnt auch im Fußball keine Fans. In Heiligendamm, das hat EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso richtig festgestellt, hat Merkel moderiert und geführt.

In der Großen Koalition in Deutschland hat sie es bislang beim Moderieren belassen. Es mag sein, dass das Kräftemessen mit George W.Bush, dieses Schach auf dem ganz großen Brett, reizvoller ist als Nervereien mit der SPD-Linken oder den Ministerpräsidenten der Union.

Doch in Deutschland steht keine Miss World zur Wahl. Gefragt wäre vielmehr Führungskraft zu Hause. Merkel ist bei ihrem Coup von Heiligendamm von ihrem Politikstil abgewichen und hatte alles auf eine Karte, die Klimakarte, gesetzt. Sie kann also auch anders. Es ist höchste Zeit für eine Premiere dieser Merkel in Deutschland.

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