Meinung:Politik der Emotionen

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Im Kino, dieser wunderbaren Kompensationsanstalt, wollen wir auch weiterhin von Herzen schadenfroh sein und die Rächer und die Terminatoren bewundern. In der Politik haben sie nichts zu suchen.

VON WOLF LEPENIES

Rache ist sauer. Mit dieser Behauptung provozierte George Orwell die Alliierten in einem 1945, nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, publizierten Essay.

Den Besiegten dürften keine "ungeheuerlichen Friedensbedingungen" aufgezwungen werden, argumentierte er. Der Glaube an die Wirkung von Strafe und Vergeltung sei eine kindische Vorstellung. Streng genommen gebe es Rache und Vergeltung gar nicht. Das Opfer, dem Unrecht zugefügt worden sei, sehne sich verständlicherweise nach Rache; sobald es aber dazu in der Lage sei, werde es auf die Erfüllung seines Rachewunsches besser verzichten.

George Orwell irrte. Rache war und ist süß. Den Menschen ist die Illusion nicht auszutreiben, durch Rache und Vergeltung lasse sich in der Welt Gerechtigkeit herstellen.

1971 wurde der vor einer Woche verstorbene Charles Bronson zum beliebtesten Filmschauspieler der Welt gewählt. Bronson ("Ein Mann sieht rot") verdankte diese Auszeichnung der Tatsache, dass er wie kein anderer den Glauben an die Macht der Vergeltung verkörperte; er war ein Rächer, der mit unbarmherziger Präzision die Phantasien seiner Zuschauer auf der Leinwand auslebte.

Sollten in diesem Herbst die kalifornischen Wähler Arnold Schwarzenegger zu ihrem Gouverneur machen, werden viele von ihnen es tun, weil sie nicht nur im Kino, sondern auch im Leben darauf vertrauen, dass ein "Terminator" es schon richten werde.

Der Wunsch nach Rache und Vergeltung für erlittenes Unrecht gehört offenkundig zur Grundausstattung der menschlichen Natur. Auch am Anfang des 21.Jahrhunderts werden überall auf der Welt neue Konflikte entfacht und alte Konflikte weiter geschürt, die von Motiven der Rache und Vergeltung getrieben sind.

Dabei ragt der israelisch-palästinensische Konflikt durch seine Dauer und Unerbittlichkeit hervor. In ihm zeigt sich, wie weit die Gegner durch ihre wechselseitigen Racheakte auf atavistische Verhaltensweisen zurückfallen können. Sie steigern sich in einen Prozess der Entzivilisierung hinein.

Auge um Auge als Irrtum

Das Nicht-Enden-Wollen des wechselseitigen Mordens - Tötungen auf Staatsbefehl sind auch Mord - lässt sich nicht mit den Worten des Alten Testaments erklären oder gar rechtfertigen.

Bei "Auge um Auge, Zahn um Zahn" handelt es sich nämlich nicht um eine barbarische Verhaltensregel. Man muss vielmehr wünschen, dass Palästinenser und Israelis dieses Gebot endlich richtig interpretieren und auch befolgen.

Das so genannte "ius talionis" ist ein Recht des Ausgleichs. Es zielt auf die Eindämmung der Gewalt. Es geht um eine Rache mit Maß und um eine angemessene Vergeltung. Wird das Maß eingehalten, ist die Auseinandersetzung beendet.

Rache und Vergeltung stehen in der Sprache der Bibel unter einem Terminierungsgebot. Dieses Gebot zu befolgen, ist aber unglaublich schwer.

Alte Rechnungen werden durch Akte der Rache in der Regel nicht beglichen. Daher stimmt auch die Metapher vom "Kreislauf der Rache" nicht - viel passender ist das Bild der Spirale.

Der französische Außenminister Dominique de Villepin hat in diesen Tagen von einer Doppelspirale gesprochen: Der Spirale sich steigernder Gewalt und der Spirale einer zunehmenden Entzivilisierung der Konfliktparteien.

Dabei war freilich nicht vom israelisch-arabischen Bürgerkrieg die Rede, sondern von der Situation im Irak. Dass mit Saddam Hussein der selbst ernannte Terminator des Nahen Ostens endlich ausgeschaltet wurde, ist ein Grund zur Befriedigung.

Wild wachsende Gerechtigkeit

Dass dies im Rahmen eines "Krieges gegen den Terror" geschah, der vom amerikanischen Präsidenten mit den religiös gefärbten Formeln einer Rache- und Vergeltungsrhetorik gerechtfertigt wird, stellt das Selbstverständnis der westlichen Demokratien in Frage.

Wie ein roter Faden durchzieht die Warnung vor den unabsehbaren Folgen einer Politik der Rache und Vergeltung die politische Philosophie des Abendlandes. Von "wild wachsender Gerechtigkeit" (Francis Bacon) ist die Rede, die der Staat durch Recht und Gesetz ausrotten müsse.

Die Klugheit des Politikers erweise sich daran, dass er auch im Krieg mit kühlem Kopf die Folgen seines Handelns auf lange Frist bemesse, statt sich mit heißem Herzen als Rächer aufzuspielen.

Gottes Rache-Privileg

Nur selten wurden diese Ratschläge in der Geschichte befolgt - die Politik und mehr noch die Rhetorik von George W. Bush bieten dafür ein aktuelles Beispiel.

In dem rechtsfreien Raum, den seine Regierung in Guantanamo geschaffen hat, wird auf beschämende Weise "wild wachsende Gerechtigkeit" geübt. Der Präsident, ein wiedergeborener Christ, und die Fundamentalisten in der Regierung sollten sich daran erinnern, dass im Neuen Testament Gott ein Rache-Privileg beansprucht: "Rächet euch selber nicht, meine Liebsten, sondern gebet Raum dem Zorn Gottes; denn es steht geschrieben: Die Rache ist mein; ich will vergelten, spricht der Herr", heißt es im Römerbrief.

Wer im Namen der Zivilisation gegen Terroristen kämpft, beraubt sich der Legitimation, wenn er sich dabei zu Racheakten hinreißen lässt.

Der Wunsch nach Rache liegt in der menschlichen Natur - die Zivilisation dagegen ist nicht zuletzt der Versuch, die Natur des Menschen zu zähmen und seine Emotionen zu kontrollieren.

Tarnung durch sprachliche Leidenschaft

Dies gelingt stets nur unvollkommen, weil der Mensch, wie Kant schrieb, nun einmal ein krummes Holz ist und bleibt, aus dem nichts ganz Gerades werden kann. Wann immer Emotionen und Gefühle die Politik bestimmen, setzen Zivilisationen die Grundlagen ihrer Existenz aufs Spiel. Diese Gefahr ist heute im Westen keinesfalls gebannt.

Es ist legitim, dass die amerikanische Politik im Nahen Osten ihre Interessen verfolgt. Alle Länder tun dies - nicht zuletzt die Gegner eines Krieges gegen den Irak haben dies getan. Gefährlich aber ist es, diese Interessen mit Hilfe einer Sprache der Emotionen und der Leidenschaften zu tarnen.

Und jetzt liegt eine zusätzliche Gefahr darin, dass die Kritiker der amerikanisch-britischen Politik angesichts der großen Schwierigkeiten, in welche die Alliierten geraten sind, darauf ebenso emotional, mit Selbstgerechtigkeit und klammheimlicher Freude reagieren.

Strategie des kühlen Kopfs

Die Attentate von Bagdad und Nadschaf sind das Werk von Verbrechern, und der Tod jedes amerikanischen Soldaten ist zu beklagen. Rache, Vergeltung und Schadenfreude haben dazu beigetragen, dass in der Welt von heute eine "Geopolitik der Emotionen" (Pierre Hassner) vorherrscht.

Die westlichen Demokratien stehen vor der Herausforderung, dieser Gefühlspolitik eine Strategie des kühlen Kopfes entgegenzusetzen. Sie haben Politiker bitter nötig, die nicht aus der Eingebung des Augenblicks heraus handeln, sondern die Folgen ihres Handelns auf lange Sicht bedenken und ihre Emotionen zügeln.

Im Kino, dieser wunderbaren Kompensationsanstalt, wollen wir auch weiterhin von Herzen schadenfroh sein und die Rächer und die Terminatoren bewundern. In der Politik haben sie nichts zu suchen.

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