Meine Presseschau:Zeit fürs Grundsätzliche

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An Weihnachten war wieder einmal Zeit für die Predigten der großen Leitartikler. Der Blick in die internationale Presse zeigt allerdings: Das weltweite Feiern ist vielen mittlerweile wichtiger als der Inhalt.

Von Matthias Drobinski

Weihnachten ist auch ein Fest für die großen Leitartikler in aller Welt. Jetzt ist für sie die Zeit gekommen, übers Grundsätzliche zu schreiben, besinnlich zu werden und, Säkularisierung hin oder her, christlich. Umso mehr überrascht, dass die internationale Ausgabe der New York Times zu Weihnachten ihren größten Meinungsbeitrag vom muslimischen Anwalt Yaseen Eldik schreiben ließ. In seiner "Muslim Christmas Story" beschreibt er, wie das Haus seiner aus Ägypten stammenden Eltern als einziges nicht mit Kranz und Rentier geschmückt war. Es ist die Weihnachtsgeschichte eines Jungen, dem sie "Bin Laden" im Schulbus nachriefen. Morgens fand er die nachts an die Hauswand geworfenen Bierdosen; "die Weihnachtsferien waren besonders stressig", schreibt Eldik, "denn wenn die Schule geschlossen war, gab es mehr Zeit für Vandalismus". Er litt darunter, bis er, auf den Rat der Mutter hin, erkannte: Nicht die anderen definieren dich, du musst das selber tun. Auch dieses Jahr fährt er heim zu den Eltern, sie schauen die gleichen Komödien wie die Nachbarn, bewundern deren Dekoration - und pflegen "hinter den Mauern unseres undekorierten Hauses unsere eigene muslimisch-christliche Weihnachtstradition".

Weihnachten hat längst den christlichen Kontext verlassen - so sah es auch der Londoner Guardian und beschrieb die Popularität des Festes in Asien, ohne dass dort die Leute gleich zu Christen würden: Das weltweite Feiern sei mittlerweile wichtiger als der Inhalt, so das Resümee. Die Neue Zürcher Zeitung dagegen bot dem Leser eine klassische Weihnachtspredigt und aktualisierte eine 50 Jahre alte Ansprache des Zürcher Theologen Emil Brunner: Der menschgewordene Gott erfordert vom Menschen eine Antwort - entweder er geht auf diesen Gott zu oder er vergottet sich selbst. Am Ende der Selbstvergottung aber könne die Selbstabschaffung des Menschen stehen, führt René Scheu aus, der Feuilletonchef der Zeitung. Doch es gebe Hoffnung: Der Mensch könne, ja müsse immer wieder neu beginnen; "weil er selbst ein Anfang ist, vermag er aus eigener Initiative einen Anfang zu setzen", schreibt Scheu und zieht den Schluss: "Denk daran - du hast keine Wahl, du musst mit deinem Leben stets wieder neu anfangen."

Die Gedanken der argentinischen Zeitung Pagina 12 waren da konkreter und schlichter: Eine Autorin mit dem Pseudonym Mamá Noel störte sich am patriarchal auftretenden Weihnachtsmann (Papá Noel) mit Bart und roter Mütze. Warum sollte nicht auch mal eine Frau übernehmen, mit Hexenhut und roten Lippen, und dem Hohoho-Macho ein Ende bereiten? Mit fröhlichem "¡Salú!" entließ Mamá Noel ihre LeserInnen in den Weihnachtsfrieden.

© SZ vom 29.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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