Meine Presseschau:Beweise und Vertrauen

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Die geballte Ausweisung russischer Diplomaten ist für viele europäische Medien überfällig, russische Zeitungen halten sie für gefährlich.

Es ist Umzugszeit, und das zu Ostern. Aus Russland müssen 60 US-Diplomaten und Dutzende weitere aus anderen Staaten ausreisen - eine Antwort auf die Ausweisung von etwa 150 russischen Diplomaten, die mehr als 20 Staaten verlassen müssen, aus der EU, Amerika und Australien. Der Abzug des Botschaftspersonals ist eine ungewöhnliche konzertierte Reaktion auf das Nervengift-Attentat gegen den einstigen Doppelspion Sergej Skripal und dessen Tochter. Auch Kanada hat sich beteiligt. Für die kanadische Zeitung The Globe and Mail war dies auch Zeit. "Russland war schon zu lange ein schlechter Schauspieler. Seit seiner Annexion der Krim, der militärischen Intervention in der Ukraine, den Cyberattacken auf Energieversorgungsnetze und seiner Einmischung in Wahlen anderer Länder ist es kurz davor, sich für einen Paria-Status zu qualifizieren." Die Wiederwahl von Präsident Wladimir Putin gibt ihm nach Meinung des Globe and Mail zwar "das Mandat, Provokationen gegenüber westlichen Staaten fortzusetzen, von denen er vielleicht glaubte, dass sie nicht geschlossen antworten. Aber jetzt weiß er es besser."

Die niederländische Zeitung De Telegraaf reiht dabei auch den Abschuss des Flugzeugs von Flug MH 17 über der Ostukraine ein. Und nun der Fall Skripal. "Das Leugnen kennt man längst", schreibt sie. "Putin hat sich von einem pragmatischen Anführer zu einem Intriganten auf der Weltbühne entwickelt. Offenkundig glaubt er, dass eine Zusammenarbeit mit dem Westen keinen Sinn mehr hat."

Eine besondere Rolle spielt für viele europäische Medien US-Präsident Donald Trump. Auf jeder seiner bisherigen Initiativen gegen Moskau "lastet die Hypothese der Absprachen zwischen Trumps Wahlkampf-Komitee und dem Kreml", schreibt Italiens Corriere della Sera. "Dieses Mal gibt es wenig Raum für Debatten. Trumps Anordnung ist ein Peitschenhieb des Kalten Krieges." Die Neue Zürcher Zeitung benutzt ein anderes P-Wort: "Ein Paukenschlag" war es, mit dem Trump "ein unmissverständliches Zeichen gesetzt und auch wieder so etwas wie eine Führungsrolle übernommen hat".

Kritisch und besorgt zeigt man sich dagegen in Bulgarien, das zwar EU-Land ist, aber auch wirtschaftlich eng mit Russland verbunden ist und sich an der Ausweisungswelle nicht beteiligt. "Theresa May tat das Maximale, um die Abkühlung zwischen der EU und Russland zu vertiefen", meint die bulgarische Trud. "Und jetzt stehen wir alle, die Welt, vor etwa sechs bis sieben Wochen, die sich in vielen Beziehungen als verhängnisvoll erweisen können - weil für Mitte Mai ein weiterer EU-Gipfel geplant ist."

Und Russland? Dort zeigen sich die Medien weitestgehend verständnislos über die Ausweisungen und die verschärfte Situation, die ihrer Meinung nach ihre Ursache im Westen hat. "So etwas gibt es in Kriegszeiten, dass die kämpfenden Seiten Diplomaten des Gegners ausweisen. Aber in friedlichen Zeiten ist dies beispiellos", heißt es etwa im Moskowskij Komsomolez. Auch die Zeitschrift Wlastj schreibt vom Beginn "eines vielseitigen diplomatischen Krieges". Es sei dies in den Beziehungen zwischen Russland und dem Westen der "schärfste Augenblick seit den Achtzigerjahren des vorigen Jahrhunderts. Wlastj sieht sogar die Gefahr, dass der Konflikt auf das Feld der Wirtschaft übergreift "bis hin zum Versuch, Russland finanziell zu erdrosseln".

Nachdenkliche Sätze in der regierungskritischen Nowaja Gasjeta, wo man sich wundert, dass auch Italien russische Diplomaten ausweist, "das in unserem propagandistischen Fernsehen als Putins Freund" dargestellt werde. Aber auch die Nowaja Gasjeta kritisiert den Westen, weil "Russland heutzutage für alles beschuldigt wird". Ihre Überschrift: "Vor Gericht zählen Beweise, in der Politik Vertrauen". Aber "zwischen Russland und dem Westen gibt es das derzeit nicht".

© SZ vom 31.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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