Meine Presseschau:Ausschaffung

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Eine Volksinitiative in der Schweiz will erreichen, dass Richter sich nicht mehr gegen eine Abschiebung straffällig gewordener Ausländer entscheiden können. Diese "Durchsetzungsinitiative" ist in den Medien hoch umstritten.

Von Charlotte Theile

Die wirtschaftsliberale Neue Zürcher Zeitung empfiehlt, am 28. Februar viermal mit Nein zu stimmen. Wie vor jeder Abstimmung in der Schweiz gibt das 1780 gegründete Blatt seinen Lesern eine Handreichung mit an die Urne: Nein zum Spekulationsstopp mit Nahrungsmitteln, Nein zur steuerlichen Besserstellung von Ehepaaren, wie sie die Christdemokraten fordern, Nein zur zweiten Gotthardröhre - und Nein zu einem Vorstoß, der den Namen "Durchsetzungsinitiative" trägt.

Hier will sich also jemand durchsetzen, und das mit aller Macht. Hinter der Initiative steht die rechtskonservative Schweizerische Volkspartei (SVP). Die Partei des milliardenschweren Unternehmers Christoph Blocher hat in den vergangenen Jahren viele, zum Teil radikale Initiativen für sich entscheiden können. Etwa die Ausschaffungsinitiative, für die 2010 eine knappe Mehrheit der Schweizer stimmte. Ausländer, die bestimmte Straftaten begehen, sollen automatisch des Landes verwiesen werden, heißt es darin. Das Parlament setzte die Initiative um, allerdings mit einer Härtefallklausel. Dass Richter den Einzelfall prüfen dürfen, geht der SVP gegen den Strich. Sie legte nach - die Durchsetzungsinitiative will nun einen Deliktkatalog in die Verfassung schreiben, der ohne jede Abwägung zur automatischen Abschiebung führt. Darunter auch Bagatelldelikte.

Constantin Seibt, Autor des linksliberalen Tages-Anzeiger, sieht einen Angriff auf das System. "Begehen zwei Jugendliche einen Blödsinn, wird der Schweizer mit einer Buße bestraft, sein ausländischer Kollege wird in ein Land deportiert, in dem er niemanden kennt." Einer der Grundsätze der Demokratie werde infrage gestellt: Alle Menschen sind vor dem Gericht gleich. Auch die Gewaltenteilung, die zwischen richterlicher und parlamentarischer Zuständigkeit unterscheidet, werde ausgehebelt. Stattdessen reklamiere das Volk eine Souveränität, die eigentlich in den Kindergarten gehöre: Ätsch, du darfst nicht mitspielen. Seibt schreibt: "Bei der Initiative ist diese Kindergrausamkeit mit der schlimmsten Grausamkeit kombiniert, die Erwachsene erfunden haben: mit Bürokratie. Einer gesichtslosen Maschine, die Urteile nach Buchstaben exekutiert, ohne Ansehen von Fall und Person."

Die in Basel erscheinende TagesWoche listet Beispiele auf: Der afrikanische Assistenzarzt, der den Sozialkassen nicht meldet, dass sein Sohn das Studium unterbrochen hat und weiter Ausbildungszulagen bezieht. Die afghanische Reinigungskraft, die eine Arztrechnung falsch abheftet. Beide müssten das Land verlassen. Sozialhilfemissbrauch ist eins der Delikte, das zur automatischen Abschiebung führt.

Auch Journalisten ohne Schweizer Pass könnten in ihrer Arbeit eingeschränkt werden: Auf der Liste der Straftaten, die bei Wiederholung zur Abschiebung führen, steht Hausfriedensbruch. Wer etwa die Bedingungen in einem Schweinestall recherchieren will, kann damit in Konflikt kommen. Auch die Berichterstattung von einer Demonstration mit großem Polizeiaufgebot kann heikel werden, wie Dominique Strebel, Jurist und Studienleiter an der Luzerner Journalistenschule, in der Branchenzeitung Medienwoche darlegt.

Gute Presse bekommt die Initiative bei der rechtskonservativen Weltwoche. Chefredakteur und SVP-Nationalrat Roger Köppel nennt die Härtefallklausel in der aktuellen Ausgabe "Täterschutzklausel". Der Knackpunkt sei, ob "Richter auch in Zukunft frei entscheiden dürfen", wie sie mit einem rückfälligen Drogendealer umgehen. Köppels Fazit: Diese Abwägung sollen Richter nicht länger treffen dürfen. In Umfragen spricht sich eine knappe Mehrheit der Schweizer für die Initiative aus.

© SZ vom 13.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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