Meine Presseschau:Amerikanische Arithmetik

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Johannes Kuhn berichtet aus Austin, Texas, für die Online-Ausgabe der SZ. (Foto: Bernd Schifferdecker)

Nach den Zwischenwahlen präsentieren US-Medien allerlei Interpretationsvorschläge für die Ergebnisse. Mahnungen ergehen sowohl an Trump als auch an die Demokraten.

Von Johannes Kuhn

Amerikas politische Mathematik hat ihre Besonderheiten: Möchten US-Bürger ihren politischen Willen umgesetzt sehen, haben sie die Wahl zwischen Demokraten oder Republikaner. Wollten sie aber in dieser Woche herausfinden, ob ihre Partei die Zwischenwahlen gewonnen hat, konnten sie unter Dutzenden Interpretationen wählen. Die Midterm-Meinungen der amerikanischen Medien sagen allerdings häufig mehr über deren eigenen Hoffnungen als über die komplizierte Realität aus. "Die Midterms waren weder für Revolutionäre, noch für Reaktionäre ein Sieg", schreibt Daniel Foster von der konservativ-libertären National Review. "Vielmehr war es ein Sieg für die Weiterwurstler, die darauf hoffen, dass unsere gegenwärtigen Spannungen kein Vorspiel sind, sondern ein Intermezzo - nur eine weitere Phase, die vorübergeht." Das entspricht ungefähr der Haltung des Magazins, das die Demokraten zwar verachtet, aber sie gerne mit filigraneren politischen Waffen als dem Trump-Hammer schlagen würde.

Das Wall Street Journal aus dem Medienimperium Rupert Murdochs wiederum spiegelt häufig die strategischen Gedanken des konservativen Polit-Establishments (oder was von ihm übrig ist). Wenn dort ein Satz mit den Worten beginnt "Anders als Richard Nixon oder Ronald Reagan", folgt meistens Kritik, da wiedergewählte republikanische Präsidenten die Autorität von Heiligen besitzen. Das Geschriebene ist folglich als Katechismus zu lesen: Anders als Nixon und Reagan also habe "Trump keine Anstrengungen unternommen, eine größere Koalition hinter sich zu versammeln als jene Minderheit, die ihm knapp die Präsidentschaft gesichert hat". Es klingt die Sorge an, dass diese Basis Trump bei den Wahlen 2020 möglicherweise nicht noch einmal ins Amt hievt.

Auch die Demokraten sorgen sich weiter um ihre Wählbarkeit 2020 (und darüber hinaus). Anders als bei den Republikanern ist hier der Richtungsstreit noch offen. Viele der frisch gewählten Abgeordneten kommen aus der Mitte, ein Teil aber auch aus der Parteilinken. In der New York Times mahnt Kolumnist Nicholas Kristoff die Partei, "sich nicht so sehr am 'Widerstand' als solchem zu orientieren, sondern mit praktischen Vorschlägen die Lebensumstände zu verbessern". Stetige Reformen bei Mindestlohn und Gesundheitsversorgung seien gerade in konservativen Staaten wirksamer als eine Dämonisierung Trumps und Versprechen wie kostenloser Bildung.

Zwar vertritt die Times noch immer jene Meinung, die in den Zirkeln der Ostküste als Ausdruck gesunden Menschenverstands gilt, doch auch sie wird zunehmend eine Stimme von vielen. "Wenn die Republikaner eine dreiste (wiewohl dystopische) Zukunftsvision verwirklichen und die Demokraten darauf reagieren, indem sie einfach eine verwässerte Variante davon anbieten, haben die Republikaner einen Vorteil." Das schreibt nun nicht die Times, sondern Meagan Day vom linken Magazin Jacobin, für das der Dienstag ein normaler Tag war: Es hält die politische Lage der USA unabhängig vom Wahlausgang für ziemlich hoffnungslos.

© SZ vom 10.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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