Massenpanik in Bagdad:Regierung: Bis zu 1000 Tote

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Die Pilger wurden bei einer Panik auf einer Brücke erdrückt oder ertranken im Tigris. Unter den schiitischen Gläubigen hatte sich das Gerücht von einem bevorstehenden Attentat verbreitet. Viele der Opfer sind Kinder. Rund 140 Menschen wurden verletzt.

Bei einer Massenpanik auf einer Brücke in Bagdad sind bis zu 1000 schiitische Pilger ums Leben gekommen, unter ihnen zahlreiche Kinder.

Nachdem das Gesundheitsministerium die Zahl der Todesopfer zunächst mit 637 angegeben hatte, erklärte ein Sprecher des Ministeriums am Nachmittag: "Es ist möglich, dass die Zahl der Opfer auf 1000 steigen wird." Rund 140 Menschen wurden verletzt.

Hunderttausende von Gläubigen waren am Morgen zur Grabmoschee des Imam Mussa al Kadim geströmt, dessen Todestag im neunten Jahrhundert alljährlich begangen wird.

Auf der mit Menschen überfüllten Aimma-Brücke über den Tigris war eine Panik ausgebrochen. Auslöser war nach Berichten von Überlebenden das Gerücht, dass sich ein Selbstmordattentäter mit einem Sprengstoffgürtel in der Menge befinde. Scharenweise stürzten die Menschen in den Fluss. Andere wurden von der Menschenmenge erdrückt.

"Ich sah, wie Frauen, Kinder und alte Männer ins Wasser fielen"

"Wir waren auf der Brücke", sagte der 28-jährige Fadhel Ali, der sich schwimmend ans Ufer retten konnte. "Es war so voll. Um mich herum waren tausende von Leuten. Wir hörten, dass ein Selbstmordattentäter in der Menge sein soll.

Alle fingen an zu schreien. Da sprang ich von der Brücke in den Fluss, schwamm und erreichte das Ufer. Ich sah, wie nach mir Frauen, Kinder und alte Männer ins Wasser fielen."

Am Ufer des Tigris stiegen hunderte von Männern in die Schlammfluten des Flusses und suchten verzweifelt nach Angehörigen. Nach Fernsehberichten nahmen insgesamt rund eine Million Menschen an dem Pilgerfest teil.

Kritik an Ministern

Eine Augenzeugin berichtete: "Tausende von Menschen standen dicht an dicht auf der Aimma-Brücke, in dem Gedränge und bei der Hitze wurden einige ohnmächtig, vor allem, die Kinder bekamen keine Luft mehr."

Vom Fenster ihres Hauses aus beobachtete die Frau, wie Hunderte von Menschen in den Fluss fielen. In Bagdad herrschten Temperaturen von etwa 43 Grad im Schatten.

Nach der Katastrophe sind der Innen- und der Verteidigungsminister in die Kritik geraten. Gesundheitsminister Ali forderte seine Kabinettskollegen Bajan Bakr Solagh und Saadun al-Duleimi auf, die "volle Verantwortung" für die Katastrophe auf einer Tigris-Brücke zu übernehmen, "auch wenn das ihren Rücktritt bedeuten sollte."

Augenzeugen hatten nach der Massenpanik Polizei und Armee beschuldigt, diese hätten zwar die Pilger kontrolliert, um Sprengstoffanschläge zu verhindern.

Es seien aber keine Vorkehrungen getroffen worden, um den Strom der Pilger in geordnete Bahnen zu lenken, sagten sie Reportern vor Ort.

Innenminister Solagh von der Schiiten-Partei SCIRI war früher bereits von sunnitischen Geistlichen kritisiert worden. Diese hatten ihm vorgeworfen, er benutze die Miliz seiner Partei für willkürliche Festnahmen, Folter und politische Morde. Verteidigungsminister al-Duleimi ist sunnitischer Araber.

Die rund 1,5 Millionen schiitischen Pilger, die sich am Heiligtum des Imam Mussa Kazhim versammelt hatten, um seinen Todestag vor mehr als 1000 Jahren zu begehen, waren schon nach einem Granatenangriff in der Nähe der Pilgerstätte nervös gewesen.

Granaten-Anschlag auf Heiligtum

Die US-Armee erklärte, ihre Soldaten hätten von Hubschraubern aus beobachtet, wie Terroristen Granaten abfeuerten, die in der Nähe der Moschee niedergingen, die den Schrein beherbergt. Die Soldaten hätten vom Hubschrauber aus auf die Angreifer gefeuert.

Mehr als ein Dutzend Verdächtige seien später festgenommen worden. Nach Angaben von Augenzeugen starben bei den Attacken am Morgen sieben Menschen, mehr als 30 wurden verletzt.

Während die Helfer noch versuchten, Menschen aus dem Fluss zu ziehen, setzte ein Teil der Pilger die religiösen Rituale am Grab des Imams fort.

Übergangsministerpräsident Ibrahim al-Dschafari ordnete eine dreitägige Staatstrauer an.

Wie viele Ausländer unter den Toten sind, war zunächst unklar. Zu dem religiösen Fest kommen auch schiitische Muslime aus Iran und anderen islamischen Staaten nach Bagdad.

Die Brücke, auf der die Pilger starben verbindet den vorwiegend von Schiiten bewohnten Stadtteil Kazhimija mit dem sunnitischen Adhamija.

Sunnitischer Führer drückt Mitgefühl aus

In der Vergangenheit wurden schiitische Feste mehrfach von sunnitischen Extremisten angegriffen. Nach der Katastrophe sagte der führende sunnitische Geistliche Haith al Dhari dem Fernsehsender Al Dschasira, der Irak sei von einer weitere Tragödie heimgesucht worden. Er spreche allen Betroffenen sein Mitgefühl aus.

Der Imam Mussa ibn Dschaafar al Kadim, zu dessen Todestag am Mittwoch in Bagdad hunderrtausende von Muslimen zusammenkamen, ist eine der wichtigsten Leitfiguren der schiitischen Richtung des Islams.

Er ist der siebte von zwölf Imamen, die von den Schiiten besonders verehrt werden. Alljährlich erinnert eine Prozession an seinen Todestag im Jahr 799. Ihr Ziel ist die Moschee im Bagdader Stadtteil Kasimija, die der Überlieferung zufolge auf dem Grab des Imams errichtet wurde. In schwarzer Kleidung gehen die Pilger in Gruppen vor das Heiligtum und geißeln sich mit Eisenketten.

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