Massaker in Usbekistan:"Sie schossen ohne zu zielen"

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Deutschland und Großbritannien haben die usbekische Regierung aufgefordert, internationale Beobachter in die Unruheregion um Andischan reisen zu lassen. Unterdessen schildern Augenzeugen und Opfer, wie brutal das Militär gegen die Demonstranten vorging.

Wie aus dem Nichts tauchen die Schützenpanzer auf. Die zu tausenden auf dem Platz der usbekischen Stadt Andischan versammelten Männer, Frauen und Kinder ahnen, dass der Staat ihren Protest nicht dulden wird. Doch mit einem Blutbad rechnet niemand.

Auf Befehl eröffnen die Soldaten das Feuer. Nach Berichten von Augenzeugen schoss das Militär hunderte Menschen in der usbekischen Stadt wahllos nieder. Das Ausmaß des Massakers vom vergangenen Freitagabend ist noch immer unklar. Die autoritäre Führung Usbekistans bestreitet, dass überhaupt auf wehrlose Menschen geschossen worden sei.

"Als die ersten Schüsse fielen, verlangten die Soldaten, dass wir uns hinlegen. Wir alle warfen uns zu Boden", erinnert sich einer der Demonstranten. Dann begann das Inferno.

"Sie schossen Magazin für Magazin leer"

"Meinen Freund Kamoliddin traf eine Kugel ins Bein. Er starb auf dem Weg ins Krankenhaus", berichtet Maschrab Madolimow aus Andischan der usbekischen Nachrichtenagentur Uznews.

Die Usbekin Galima Bucharbajewa gehört zu den wenigen Journalisten, die das Blutbad in Andischan aus unmittelbarer Nähe erleben. Sie ist Korrespondentin des Journalisten-Netzwerks Institute for War & Peace Reporting.

Bereits Tage zuvor war Bucharbajewa in die abgelegene Stadt im Fergana-Tal gereist, um über friedliche Proteste gegen einen Extremistenprozess zu berichten. Jenes Verfahren gegen 23 Geschäftsleute war Auslöser für die Kettenreaktion der Gewalt.

Die grauenvollen Minuten, als die Staatsmacht zuschlug, schildert die Journalistin Bucharbajewa in einem Bericht für ihr Institut: "Sie schossen Magazin für Magazin leer, ohne überhaupt noch zu zielen." Die Soldaten hätten kein Erbarmen mit ihren Landsleuten gezeigt.

"Die unbewaffneten Menschen auf dem Platz, unter ihnen Frauen und Kinder, ergriff Panik. Sie versuchten davonzulaufen", schreibt die Journalistin. Überall lagen Leichen. Über den Köpfen der Menschen kreisten Militärhubschrauber.

Am nächsten Morgen begreifen die Menschen von Andischan, welchen Blutzoll der schwarze Freitag in ihrer Heimatstadt gekostet hat. "Bei Sonnenaufgang schafften sie die Leichen in vier Lastwagen und einem Omnibus aus der Stadt", berichtet der Menschenrechtler Saidschachon Sainabitdinow vom Ort des Blutbades.

Der Vorsitzende der Organisation "Apellazija" (Berufung) ist überzeugt, dass bis zu 500 Menschen bei dem Massaker im Osten Usbekistans ums Leben kamen.

Im 300 Kilometer entfernten Taschkent hat der usbekische Präsident Islam Karimow für die Toten von Andischan kein Wort des Bedauerns übrig. Karimow war selbst nach Andischan gereist und hatte an jenem Bluttag den Krisenstab geleitet.

"Das widersprach allen Regeln der Humanität"

Für den Hardliner sind die Opfer Helfershelfer islamistischer Aufständischer, die das Gebäude der Gebietsverwaltung nach nächtlichen Ausschreitungen besetzt hielten. Ziel der Radikalen sei es, einen Gottesstaat zu errichten. Jene im Gebäude verschanzten Rebellen hätten ihre Verwandten als lebende Schutzschilde vor sich auf dem Platz von Andischan postiert.

"Das war unmenschlich und widersprach allen Regeln der Humanität", empört sich Karimow am Tag nach dem Gemetzel durch seine Militärs. Für die Taten seiner Untergebenen findet der Präsident lobende Worte: "Sie haben sich tapfer verhalten."

Eine andere Sicht der Dinge ist im Polizeistaat Usbekistan tabu. Wenn die im Land beliebten russischen Fernsehsender über Andischan berichten, lässt die usbekische Staatspropaganda stattdessen Musikvideos über den Bildschirm flimmern.

© dpa, Stefan Voß - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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