Madrid:Mutmaßlicher Bombenleger waren der Polizei seit Jahren bekannt

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Der inhaftierte Jamal Zougam galt schon lange vor den Anschlägen als Anhänger der al-Qaida. Bereits im Juni hatten marokkanische Behörden die spanische Polizei vor einer Rückkehr des Extremisten nach Spanien gewarnt.

Zwei der drei Marokkaner, die am Samstag wegen mutmaßlicher Beteiligung an den Madrider Anschlägen verhaftet wurden, waren den spanischen Ermittlungsbehörden offenbar schon seit August 2001 bekannt.

Als Schlüsselfigur gilt Jamal Zougam, der in Madrid ein Handy-Geschäft betrieb. Er soll die Mobiltelefone besorgt haben, mit denen die in den Zügen deponierten Bomben ferngezündet wurden.

Bereits am 10. August 2001 war Zougams Wohnung durchsucht worden, seine Telefonate wurden abgehört. Verdachtsmomente für Zougams Kontakt zur spanischen al-Qaida-Zelle fanden sich reichlich.

Wie die Zeitung El Periódico berichtete, hätten die marokkanischen Behörden die spanische Polizei im Juni vor einer Rückkehr Zougams nach Spanien gewarnt.

Der 30-jährige Marokkaner war nach Angaben der spanischen Behörden ein Anhänger von Imad Yarkas, dem mutmaßlichen Chef der spanischen al-Qaida-Zelle. Yarkas wird vorgeworfen, in die Planung der Terroranschläge vom 11. September 2001 in den USA verwickelt zu sein.

Zougam hatte nach britischen Medienberichten offenbar auch Kontakt zu Islamisten in Großbritannien. Die Zeitung The Guardian berichtete am Mittwoch, die Ermittler untersuchten derzeit Kontakte zwischen Zougam und Nordafrikanern in Großbritannien.

Der Evening Standard berichtete, in Zougams Wohnung seien die Telefonnummern von vier Islamisten aus London gefunden worden. Außerdem seien von seinem Mobiltelefon aus Gespräche nach London geführt worden. Die Londoner Polizei wollte sich nicht zu den Zeitungsberichten äußern.

"Die beiden sind wichtig"

Auch Zougams Halbbruder Mohammed Chaoui, ebenfalls am vergangenen Samstag verhaftet, war den spanischen Ermittlern bereits im Sommer 2001 begegnet. In einem Telefonat zwischen den al-Qaida-Leuten Yarkas und Salaheddin Benyaich, der wegen Verwicklungen in die Casablanca-Anschlägen in Haft sitzt, wies Yarkas explizit auf Zougam und Chaoui hin. Im Abhörprotokoll wird er mit dem Satz zitiert: "Die beiden sind wichtig."

Diese und unzählige weitere Informationen sind in den 1000 Seiten starken Ermittlungsakten des spanischen Richters Baltasar Garzón zusammengetragen, die dem französischen Ermittler Jean-Charles Brisard vorliegen.

Aus den Akten gehe hervor, berichtete Brisard, dass Zougam bereits vor sieben Jahren zur spanischen al-Qaida-Zelle gestoßen sei. Garzón, in Deutschland vor allem durch seine Ermittlungen gegen den früheren chilenischen Militärmachthaber Augusto Pinochet bekannt, untersucht seit den Terror-Attacken vom 11. September die spanischen Ausläufer des islamistischen Terror-Netzwerkes.

Angesichts der Fülle an Hinweisen stellt sich die Frage, warum die Behörden nicht früher zugegriffen haben. Ein Grund: Durch ständigen Wechsel ihrer Mobiltelefone und E-Mail-Accounts verwischen die Terroristen immer wieder die Spuren ihrer Kommunikation.

"Sie verstehen es, immer neue Schichten von Anonymität zu schaffen", sagt Magnus Ranstorp, Leiter des Instituts für Terrorismusforschung der Universität St. Andrews in Schottland. "Sie sind sehr geschickt darin, von den Radarschirmen der Geheimdienste zu verschwinden."

Fahndung nach 20 Marokkanern

Unterdessen fahndet die Polizei nach 20 weiteren Marokkanern. Sie sollen nach Presseberichten vom Mittwoch einer radikal-islamischen Organisation namens "Islamische Kampfgruppe Marokkos" (GICM) angehören, die vom Terrornetzwerk al-Qaida finanziert werde.

Die Behörden des nordafrikanischen Nachbarlandes hätten Fotos von 20 Verdächtigen zur Verfügung gestellt, hieß es unter Berufung auf Ermittlerkreise. Der Gruppe gehöre vermutlich auch Zougam an.

Die GICM sei 1993 unter einem anderen Namen von Veteranen des Afghanistan-Krieges in Pakistan gegründet worden. Neun ihrer mutmaßlichen Mitglieder würden nach ihre Festnahme in Afghanistan im US-Gefangenenlager Guantánamo auf Kuba festgehalten.

Acht weitere seien flüchtig und würden von mehreren Ländern steckbrieflich gesucht. Es werde nicht ausgeschlossen, dass sie in das Massaker von Madrid verwickelt gewesen seien. Derweil durchsuchte die Polizei erneut den Telefonladen des Hauptverdächtigen Zougam im Madrider Einwandererviertel Lavapiés.

Einer der zwei anderen marokkanischen Festgenommenen war bei der Ortsbesichtigung in Handschellen anwesend. "Mörder, Mörder!" schrien einige Anwohner, wie der Rundfunk berichtete. Anschließend wurde der Mann, der mit einer schwarzen Plastiktüte über dem Kopf versuchte, unerkannt zu bleiben, wieder abgeführt. Die Beamten hätten zwei Kisten Beweismittel sichergestellt, hieß es weiter.

Trauerfeier für 201 Todesopfer

Rund 5000 Menschen gedachten am Dienstag in Madrid mit einem Gottesdienst der 201 Opfer der Terroranschläge von vergangener Woche. Erzbischof Antonio Rouco Varela verurteilte die Tat als "abscheuliches Verbrechen in den Augen Gottes".

In der marokkanischen Hauptstadt Rabat fand ebenfalls ein Gedenkgottesdienst für die Opfer statt. An der Messe nahmen 1000 Menschen teil, darunter mehrere Mitglieder der marokkanischen Regierung und die spanische Außenministerin Ana Palacio.

Der Erzbischof von Rabat, Vincent Landel, rief zu einem Ende des Terrors auf, bevor die Menschen einander nicht mehr trauen könnten. Von den mehr als 1600 Verletzten waren sieben noch in einem kritischem Zustand.

© AP/John Leicester - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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