Lohndebatte:"Ökonomische Tiefflieger"

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Der überraschende Kurswechsel der Regierung in der Lohndebatte stößt bei Opposition und Arbeitgebern auf heftige Kritik. Während Baden-Württembergs Ministerpräsident Günther Oettinger die Forderungen nach Lohnerhöhungen als "unverantwortlich" bezeichnete, wurde CSU-Finanzexperte Hans Michelbach wesentlich deutlicher.

Angesichts des Kurswechsels von Bundesregierung und SPD-Spitze in der Lohnpolitik haben Opposition und Arbeitgeber eindringlich Zurückhaltung angemahnt. Die SPD-Minister Wolfgang Clement und Hans Eichel sowie Parteichef Franz Müntefering hatten am Samstag mit Blick auf höhere Unternehmensgewinne und die weiter flaue Binnenkonjunktur arbeitnehmerfreundliche Tarifabschlüsse angeregt.

Erneut im Fokus der Kritik: Wolfgang Clement und Hans Eichel. (Foto: Foto: dpa)

Den Zusammenhang zwischen Lohnerhöhungen und Arbeitsplatzverlusten müsse man "stets im Auge behalten", warnte Gesamtmetall-Präsident Martin Kannegiesser am Abend im ZDF. Für den Wirtschafts- und Arbeitsmarktexperten der Unionsfraktion im Bundestag, Ronald Pofalla (CDU), sollte sich die Politik aus der Tarifgestaltung heraushalten. Dazu seien die zuständigen Gremien von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden da, sagte Pofalla in der ARD.

Baden-Württembergs Ministerpräsident Günther Oettinger bezeichnete die Forderungen aus der SPD als "unverantwortlich". Auch in Zukunft seien "Lohnzurückhaltung und maßvolle Tarifabschlüsse angesagt". Mit ihrem Vorstoß verabschiedeten sich Eichel und Müntefering "bereits ein Vierteljahr vor einer möglichen Bundestagswahl von jeder Führungsverantwortung für unser Land", kritisierte Oettinger.

"Voodoo-Ökonomie"

Thüringens CDU-Ministerpräsident Dieter Althaus sagte: "Ein einseitiges, durch Lohnanhebung betriebenes Konjunkturprogramm macht keinen Sinn. Die Löhne müssen der ökonomischen Entwicklung folgen." Der Vorsitzende der Mittelstands-Union (MU) und CSU-Finanzexperte Hans Michelbach meinte, Eichel und Clement hätten sich "endgültig als ökonomische Tiefflieger geoutet". Die Regierung betreibe "Voodoo-Ökonomie", kritisierte FDP-Vize Rainer Brüderle.

Die Gewerkschaften hielten sich am Samstag mit Kommentaren zu dem Vorstoß aus Regierung und SPD-Spitze auffallend zurück. Dem Vernehmen nach wird befürchtet, dass die Vorschläge der Bundesminister lediglich auf Einmalzahlungen für die Beschäftigten in florierenden Branchen abzielen.

Lohnzurückhaltung beenden

Weil die Binnenkonjunktur erneut nicht wie erhofft angesprungen ist, hatte Bundeswirtschaftsminister Clement seinen lang anhaltenden Widerstand gegen höhere Tarifabschlüsse überraschend aufgegeben. "Dort, wo es - wie in der Stahlbranche - wirtschaftlich vertretbar ist, sollten angemessene Einkommensverbesserungen realisiert werden", schrieb er in der Süddeutschen Zeitung. Die Tarifparteien seien für die Nachfrageseite mitverantwortlich.

Müntefering ermunterte die Gewerkschaften auf dem Leipziger Juso-Kongress sogar ausdrücklich, ihre Lohnzurückhaltung zu beenden. "Deutschland ist Hochlohnland und muss das auch bleiben wollen. Die Linie der Niedriglohnstrategie ist falsch."

Bundesfinanzminister Eichel, für den höhere Löhne auch höhere Einnahmen bei den seit längerem rückläufigen Einkommensteuern bedeuten würden, sagte: "Die deutsche Wirtschaft ist wieder unheimlich wettbewerbsfähig - nicht zuletzt, weil wir seit zehn Jahren eine sehr gemäßigte Tarifpolitik haben." Solange Deutschland bei der Wettbewerbsfähigkeit hinter anderen Staaten herhinkte, "war das in Ordnung". Nun erzielten die Unternehmen aber hohe Gewinne.

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