Livestream:Rückkopplung im Home-Office

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Auf einem Schirm: Kanzlerin Merkel, EU-Staats- und Regierungschefs und Mitglieder des Europäischen Rates bei der Videokonferenz in Paris. (Foto: Ian Langsdon/dpa)

Merkel meldet sich aus der Quarantäne per Audio-Livestream - mit einer klaren Ansage.

Von Nico Fried, Berlin

Am Donnerstag um 19.47 Uhr verschickt Steffen Seibert einen Tweet. Darin kündigt der Regierungssprecher an, dass eine Pressekonferenz mit Angela Merkel, die als Audio-Livestream übertragen werden soll, "in Kürze" beginne. "In Kürze" dauert dann noch genau zweieinhalb Stunden, ehe sich die Kanzlerin gegen 22.15 Uhr meldet. Die Verzögerung ist wie ein Omen für das, was sie kurz darauf zur Corona-Krise und den Ausgangsbeschränkungen sagen wird.

Doch zu Beginn räumt Merkel erstmal ein, dass eine Pressekonferenz per Audio-Livestream ein "ungewöhnlicher Weg" sei. Aber es gehe eben nicht anders, "weil ich ja bekanntermaßen in Quarantäne bin". Die Journalisten sind mit den Ohren bei der Kanzlerin zu Hause. Auf die Frage, wie sie die Quarantäne erlebe, sagt sie: "Ich bin sehr, sehr gut beschäftigt." Mit ihrer Neigung zum komplizierten Satzbau fügt sie hinzu: "Ich will jetzt nicht sagen, dass ich nicht dann auch froh bin, wenn die Quarantäne sich ihrem Ende zuneigt."

Der Audio-Livestream aus dem Home-Office ist eine Premiere. Schon nach anderthalb Minuten setzt ein erstes Echo ein, das kurz darauf nachlässt. Doch nach weiteren drei Minuten schallt und hallt es ohne Unterlass. Wiederholt setzt die Kanzlerin neu an, ehe sie mosert, da sei "eine schreckliche Rückkopplung, die könnte vielleicht beseitigt werden, sonst ist es sehr schwierig". Die Beseitigung gelingt.

Merkel berichtet zuerst von den G-20-Gesprächen und bleibt dabei im diplomatisch floskelhaften Ton, was erahnen lässt, dass nicht viel Konkretes beschlossen wurde. Ein wenig anders muss es unter den 27 Staats- und Regierungschefs der EU zugegangen sein. Sechs Stunden dauerte die Sitzung, und mehrere davon dürften auf die Frage verwendet worden sein, wie man die Kosten der Krise in der EU so verteilt, dass man nicht als Nächstes gleich wieder in eine Schuldenkrise rauscht. Das Thema wurde den Finanzministern übergeben und um zwei Wochen vertagt.

Die Video-Konferenzen sind auch für die Chefs der EU-Regierungen eine neue Erfahrung. Man könne zwar nicht herumlaufen und mit einem Kollegen mal unter vier Augen verhandeln. Aber, so berichtet die Kanzlerin, man könne sich zwischendurch "'ne Message schreiben".

Gleich die erste Frage zielt dann auf die Diskussion in Deutschland ab, wann die Beschränkungen des öffentlichen Lebens wieder reduziert werden könnten. Merkel hat sich vorgenommen, deutlich zu werden. Sie wolle "sehr klar sagen, dass im Augenblick nicht der Zeitpunkt ist, über die Lockerung dieser Maßnahmen zu sprechen". Das ist eine klare Ansage - und sie dürfte im Kanzleramt selbst für heiße Ohren sorgen. Denn ausgerechnet Helge Braun, Merkels Amts-Chef, hatte einen Tag zuvor die Tür zu dieser Diskussion geöffnet. Braun hatte Spekulationen genährt, es könne um Ostern herum zu einer Erleichterung kommen. Zwar hatte auch er betont, es hänge viel davon ab, ob die Infektionskurve mit den beschlossenen Maßnahmen flach gehalten werden könne. Dann aber hatte er einen Zeitrahmen abgesteckt: "Das zeigt sich in den nächsten zwei Wochen."

Die Rechnung seiner Chefin geht ganz anders. Sie schaut nicht auf den Kalender, sondern nur auf die Zahlen. Ein Faktor dabei, so Merkel: "Wie lange dauert es eigentlich, bis sich die Zahl der Neuinfizierten verdoppelt." Derzeit stehe man da in Deutschland bei vier bis fünf Tagen. "Wir müssen durch unsere Maßnahmen sehr viel mehr Tage noch erreichen, etwas in Richtung von zehn Tagen."

In diesem Moment wird die Schalte unterbrochen, denn bei Merkel klingelt ein Telefon. Einmal, zweimal. Dann hebt sie offenbar ab und legt gleich wieder auf. Die ganze Zeit über referiert sie weiter: Man sei "noch gar nicht in dem Bereich, dass wir sehen, ob unsere Maßnahmen wirken". Das werde "auch uns viel abverlangen". Merkel muss sich ebenfalls in Geduld üben: Von 14 Tagen Quarantäne sind an diesem Abend erst vier vorbei.

© SZ vom 28.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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