Libanon vor Bürgerkrieg:Regierung will islamistische Milizen vernichten

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Die Lage im Libanon spitzt sich zu: Dutzende sterben bei Kämpfen, in Beirut detoniert eine Bombe und die Lage in Flüchtlingslagern wird immer bedrohlicher. Die libanesische Regierung hat die Streitkräfte angewiesen, die Miliz Fatah al-Islam auszulöschen.

Das Kabinett betone die Notwendigkeit, "das terroristische Phänomen zu beenden", sagte Informationsminister Ghasi Aridi nach einem Krisentreffen. Wenige Stunden nach der Kabinettsentscheidung flammten die Kämpfe im palästinensischen Flüchtlingslager Nahr el-Bared bei Tripoli am Dienstag den dritten Tag in Folge auf. Bei den Gefechten wurden seit Sonntag mehr als 50 Menschen getötet.

Eine schwere Explosion erschütterte am Montagabend den überwiegend von Muslimen bewohnten Stadtteil Verdun in Beirut. Der Sprengsatz detonierte in unmittelbarer Nähe eines Luxus-Einkaufszentrums, teilte die Polizei mit.

Die islamistische Gruppe Fatah al-Islam bekannte sich zu diesem und einem weiteren Anschlag. "Eine Gruppe heroischer Gotteskämpfer hat in Beirut in den vergangenen zwei Tagen zwei Sprengsätze versteckt und in die Luft gejagt", erklärte die Gruppe am Dienstag. Bei den Anschlägen waren ein Mensch getötet und 20 verletzt worden.

Bei den Kämpfen in einem palästinensischen Flüchtlingslager im Nordlibanon starben nach Angaben aus Sicherheitskreisen am Montag mindestens 20 Menschen. Augenzeugen berichteten aus dem abgeriegelten Lager Nahr al-Bared bei Tripoli von mindestens 50 Toten, unter den Trümmern lägen weitere Opfer, zahlreiche Schwerverletzte würden voraussichtlich sterben, sollten sie keine sofortige medizinische Behandlung bekommen.

Die EU-Präsidentschaft verurteilte die Angriffe auf die libanesischen Sicherheitskräfte auf das Schärfste. In ihrer Erklärung bekräftigte die EU ihre Unterstützung für die Regierung des libanesischen Ministerpräsidenten Fuad Siniora.

Die Konfliktparteien wurden aufgerufen, "sich der Gewalt entgegenzustellen und alles zu unternehmen, um eine Eskalation der Lage zu verhindern". Auch das Weiße Haus forderte ein sofortiges Ende der Gewalt im Libanon.

Rauch aus dem Flüchtlingslager

US-Präsident George W. Bush gab der Regierung des Libanon Rückendeckung für ihr Vorgehen gegen radikale Islamisten. Extremisten, die versuchten, die Regierung zu stürzen, müssten bekämpft werden, sagte Bush.

Es sei zudem ein trauriger Zustand zu sehen, dass die junge Demokratie im Libanon von externen Kräften unter Druck gesetzt werde. Bush warf Syrien damit nicht direkt vor, in den neuen Konflikt verwickelt zu sein. Er sagte aber, es gebe keine Zweifel, dass Syrien in der Vergangenheit in die Angelegenheiten des Landes verwickelt gewesen sei und dies noch immer tue.

Palästinensische Organisationen bemühten sich um die Vermittlung eines Waffenstillstands. Der Vertreter des Islamischen Dschihads, Abu Ahmed Rifai, sagte, dass die Fatah al-Islam zugesichert habe, die Feindseligkeiten einzustellen und sich von der Frontlinie zurückzuziehen.

Ein Sprecher der Fatah al-Islam, Abu Salim, warnte jedoch vor einem das ganze Land erfassenden Bürgerkrieg, falls die Belagerung des Flüchtlingslagers nicht eingestellt werde. "Es ist ein Kampf auf Leben und Tod", sagte Abu Salim der Nachrichtenagentur AP. "Sie wollen die Fatah al-Islam auslöschen. Wir werden antworten und wir wissen, wie wir antworten werden."

Das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten UNRWA zeigte sich tief besorgt über die Lage für die rund 40.000 Menschen in dem Flüchtlingslager. Nahr al-Bared lag den ganzen Tag unter Dauerbeschuss der Armee. Augenzeugen berichteten, Hunderte Soldaten mit Panzern hätten das Gebiet umstellt. Aus dem Lager stiegen immer wieder Flammen und dichter Rauch auf. Insgesamt stieg die Opferzahl bei den Gefechten auf mindestens 70, nachdem am Sonntag nach Behördenangaben über 50 Menschen ums Leben gekommen waren.

Aus Armeekreisen hieß es, die radikalislamische Organisation Fatah al-Islam sei mit etwa 150 Kämpfern in dem Lager vertreten.

Unter den Opfern sind zahlreiche Zivilisten. Am Vortag war bei den Gefechten am Eingang des Lagers auch der Bruder des in Berlin einsitzenden mutmaßlichen "Kofferbombers" von Köln getötet worden.

Zufriedenheit mit dem harten Kurs der Armee

Die Armee geht seit Sonntag gegen Mitglieder der radikalen Sunniten-Gruppe in dem seit 1949 bestehenden Lager vor, der Kontakte zur syrischen Führung und zum Terrornetzwerk al-Qaida nachgesagt werden. Nach einer 38 Jahre alten Abmachung ist der Armee der Zutritt zum Lager selbst verboten. Die Kämpfe am Eingang waren ausgebrochen, nachdem es zu einem Schusswechsel zwischen Soldaten und Angehörigen der Gruppe gekommen war, die eine Bank ausgeraubt haben sollen.

In Tripoli leben vorwiegend Sunniten. Mehrere sunnitische Politiker und Geistliche bekräftigten am Montag ihre Unterstützung für das Vorgehen der Armee. Auch Hunderte Libanesen drückten auf den Straßen von Tripoli ihre Zufriedenheit mit dem harten Kurs der Armee gegen die Islamisten aus.

Die Palästinenser in dem umkämpften Lager erklärten per Telefon, die humanitäre Lage in Nahr al-Bared verschlechtere sich stündlich. Verletzte erhielten keine ausreichende Hilfe. Auch Nahrungsmittel würden langsam knapp.

Der Vertreter der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) im Libanon, Abbas Saki, sagte, er wolle nicht, dass die zwölf palästinensischen Flüchtlingslager "der Funke sind, der einen Bürgerkrieg entbrennen lässt". Der Kommandeur der libanesischen Polizei, General Aschraf Rifi, hatte am Sonntag erklärt, die syrische Führung stecke hinter der Gewalt im Norden des Libanon. Sie versuche, das Land zu destabilisieren und es dabei so aussehen zu lassen, als steckten Al-Qaida-Terroristen dahinter.

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