Libanesischer Minister ermordet:"Das ist die Tat eines feigen Regimes"

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Der christlich-libanesische Politiker und Industrieminister Pierre Gemayel ist einem Mordanschlag zum Opfer gefallen. Damit wächst eineinhalb Jahre nach dem Attentat auf Ex-Premier Rafik al-Hariri die Sorge vor einer Eskalation der politischen Spannungen im Libanon. Der Sohn Hariris machte Syrien für die Tat verantwortlich.

Nach Angaben der Polizei wurde Gemayel im christlichen Vorort Dschdeide von mehreren Schüssen getroffen, die aus einem vorbeifahrenden Auto abgegeben wurden. Der Täter konnte entkommen.

Gemayel gilt ebenso wie Ministerpräsident Fuad Siniora als Gegner Syriens. Gemayel ist das fünfte Opfer unter Politikern oder Intellektuellen aus dem antisyrischen Lager in den vergangenen zwei Jahren.

Der Politiker Saad al-Hariri machte Syrien für den Anschlag verantwortlich: "Wir glauben, dass die Hand Syriens überall ist", sagte al-Hariri dem Fernsehsender CNN. "Das ist die Tat eines feigen Regimes", sagte er weiter.

Der Politiker zählt neben Siniora und Drusenführer Walid Dschumblatt zu den wichtigsten Führungspersönlichkeiten der Fraktion der Gegner Syriens. Saad al-Hariri ist der Sohn des ebenfalls bei einem Mordanschlag getöteten früheren Ministerpräsidenten Rafik al-Hariri. Dieser und 22 weitere Menschen waren im Februar 2005 bei einem Attentat mitten in Beirut getötet worden. Syrien wird von vielen Libanesen für den Mordanschlag verantwortlich gemacht.

"Wir sind schockiert"

Syrien und die Vereinigten Staaten verurteilten den Mordanschlag auf Gemayel. Das US-Außenministerium stufte die Tat als "Terrorakt" ein. "Wir sind schockiert über diesen Anschlag", sagte US-Außenstaatssekretär Nicholas Burns in Washington. Auch Syriens Regierung verurteilte den Anschlag.

Eine entsprechende Mitteilung verbreitete die amtliche Nachrichtenagentur Sana kurz nach dem Mordanschlag. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier sagte, das Attentat stelle "offenbar einen weiteren Versuch dar, die Entwicklung eines unabhängigen, souveränen und demokratischen Libanon zu sabotieren". Er appellierte an alle politischen Kräfte, "alles zu unterlassen, was die politische Lage im Libanon weiter destabilisiert".

Gemayel war maronitischer Christ und jüngstes Mitglied des Kabinetts. Er entstammte einer Politiker-Dynastie und war der Sohn von Ex-Präsident Amin Gemayel. Die Gemayels unterhielten im libanesischen Bürgerkrieg 1975/76 die stärkste militärische Kraft auf Seiten der Christen.

Großvater Pierre Gemayel hatte die politische Macht der Familie 1936 mit einer straff gegliederten Jugendorganisation, der Falange, begründet. Vater Amin Gemayel war von 1982 bis 1988 Staatspräsident. Er folgte damals seinem Bruder Beschir im Amt nach, der nur vier Wochen nach seiner Wahl einem Bombenattentat zum Opfer gefallen war. Die Falangisten sind strikte Gegner des syrischen Einflusses auf den Libanon. Als Israel den Südlibanon 1982 besetzte, arbeiteten sie mit dem jüdischen Staat zusammen.

Vor dem Haus der Familie Gemayel im Osten von Beirut bildete sich sofort nach Bekanntwerden der Nachricht vom Tod des Ministers eine Menschenmenge. Die wütenden Anhänger des Politikers riefen "Gott segne den Libanon".

Der Libanon erlebt derzeit seine schwerste innenpolitische Krise seit Jahren. Die prosyrischen Kräfte unter Führung der schiitischen Hisbollah haben damit gedroht, die Regierung durch Massenproteste zu stürzen, falls diese nicht der Bildung einer Regierung der nationalen Einheit oder vorgezogenen Neuwahlen zustimmen sollte.

Ministerpräsident Siniora hatte vor gewaltsamen Protesten gegen die Regierung gewarnt, aus der sechs prosyrische Minister ausgetreten sind. Das Restkabinett stimmte vergangene Woche den UN-Statuten für ein Tribunal zu, das die Mörder Rafik al-Hariris feststellen und verurteilen soll. Einer UN-Untersuchungskommission zufolge waren syrische und libanesische Sicherheitskräfte an dem Hariri-Anschlag beteiligt.

© SZ vom 22.11.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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