Lettland:Regierungskrise nach Votum für EU-Beitritt

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Obwohl zwei Drittel der Letten für den Beitritt ihres Landes zur EU gestimmt haben ist die Regierung von Ministerpräsident Einars Respe am Ende. Eine der Parteien aus der Viererkoalition drohte wegen des autoritären Führungsstils des Regierungschefs mit ihrem Rückzug.

Die Europäische Union kann wie geplant am 1. Mai 2004 um zehn Staaten erweitert werden: Als letztes der Kandidatenländer sprach sich Lettland in einer Volksabstimmung für die EU-Mitgliedschaft aus. 67 Prozent der Wähler in dem baltischen Staat stimmten am Samstag dem Beitritt zu, 32 Prozent waren dagegen, knapp ein Prozent der Stimmen waren ungültig. Dieses vorläufige Endergebnis gab die Wahlkommission am Sonntag in Riga bekannt.

Brüssel und Berlin begrüßen deutliches Votum

Lettische Spitzenpolitiker begrüßten das Bürgervotum. Präsidentin Vaira Vike-Freiberga sprach von einer "neuen Etappe unserer Geschichte". Ministerpräsident Einars Repse sagte: "Wir haben für Sicherheit, Stabilität, Entwicklung gestimmt und für die Zukunft unserer Kinder und das Wohlergehen unseres Landes." Außenministerin Sandra Kalniete kündigte an, Lettland werde eine "aktive und konstruktive Rolle in der Union suchen".

Aus Brüssel gratulierte EU-Kommissionspräsident Romano Prodi. Die EU sei "glücklich" über den lettischen Entscheid. Die positiven EU- Referenden in Europa sollten "uns ermutigen, noch entschlossener für die Vereinigung des Kontinents einzutreten", sagte Prodi. In Berlin sprach Bundeskanzler Gerhard Schröder von einer Rückkehr des baltischen Staates in die europäische Familie. Bundesaußenminister Joschka Fischer sagte, die Letten hätten "mit ihrem klaren Votum auch über die zukünftige Gestalt Europas entschieden".

Koalitionspartei wirft Regierungschef diktatorische Methoden vor

Unterdessen beherrscht in Lettland bereits wieder die Innenpolitik die politische Diskussion. Die erst seit einem Jahr regierende Vier-Parteien-Koalition steht vor dem Zerfall, nachdem Ministerpräsident Repse nicht mehr mit der Unterstützung der "Ersten Partei" rechnen kann.

Deren Parteivorsitzender hatte in der Wahlnacht davon gesprochen, dass Lettland mit Repse eine Diktatur drohe. Die Kommentatoren urteilten danach übereinstimmend, damit sei der seit längerem erwartete Koalitionsbruch vollzogen. Die "Erste Partei" war mit ihrer bereits getroffenen Entscheidung aus Rücksicht auf das Referendum erst nach der schließung der Wahllokale an die Öffentlichkeit gegangen. Repse kündigte an, dass an diesem Montag der Koalitionsausschuss zusammentreten werde.

Spitzenpolitiker aller Fraktionen erörterten parallel dazu bereits neue Bündnismöglichkeiten. Dabei sind Schwierigkeiten zu erwarten, weil die größte, von der russischen Minderheit geprägte Oppositionspartei "Für Menschenrechte im vereinten Lettland" weithin als nicht koalitionsfähig gilt.

Die Europäische Union besteht nach dem Beitritt der zehn Staaten im kommenden Mai aus insgesamt 25 Staaten mit knapp 454 Millionen Einwohnern. Bislang waren es 15 Staaten mit 379 Millionen Einwohnern. Die ehemalige Sowjetrepublik erhofft sich von der EU-Mitgliedschaft einen wirtschaftlichen Aufschwung. Skeptiker hatten argumentiert, der Beitritt zur Union gefährde die nationale Identität. Übereinstimmend wurde auf die hohe Wahlbeteiligung von 72,5 Prozent hingewiesen, die im europäischen Vergleich nur vom Referendum in Malta übertroffen wurde. "Die Bürger haben die Bedeutung der Entscheidung verstanden und sie nicht mit Tagespolitik vermischt", sagte Kalniete.

Die EU wird sich am 1. Mai nächsten Jahres um Lettland, Estland, Malta, Slowenien, Ungarn, Litauen, Polen, Tschechien, Zypern und die Slowakei erweitern. Bulgarien und Rumänien verhandeln derzeit über eine für 2007 anvisierte Mitgliedschaft.

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