Lauschangriff:Ein Staat mit tausend Ohren

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Strafermittler sorgen sich vor den Folgen des Lauschangriff-Urteils. Denn auch das Abhören von Telefonen, inzwischen routinemäßig betrieben, soll nun erschwert werden.

Von Joachim Käppner

Die bayerischen Ermittler glaubten, einen wichtigen Schritt vorangekommen zu sein. Nach einer Reihe von Überfällen auf Postfilialen hatten sie zunächst wenige Hinweise auf die Täter gehabt; dann aber wies eine Spur nach Ulm. Man ging von "Taten mit Ausländerbezug" aus, eine Gruppe Albaner galt als verdächtig.

Ein Mann war dem Landeskriminalamt besonders aufgefallen; die Beamten beantragten die Erlaubnis zur Telefonüberwachung, wovon sie sich weitere Rückschlüsse auf die Posträuber erhofften. Eine Routinemaßnahme, dachten die Kriminalbeamten.

Die Überraschung war groß, als ein Richter die Überwachung als "unverhältnismäßig" ablehnte. Als die Staatsanwaltschaft intervenierte ("sonst kommen wir nicht weiter"), gab das Landgericht Ulm dem Antrag zwar statt, doch war dies für die Polizei alles andere als ein Grund zur Freude.

Wie die Süddeutsche Zeitung erfuhr, erlaubte das Landgericht das Abhören zwar, aber nur unter der Voraussetzung, dass die am Telefon mithörenden Beamten exakt jene Vorgaben beachteten, die das Bundesverfassungsgericht im März für den "großen Lauschangriff" festgelegt hatte.

Auf eine solche Erlaubnis verzichteten die Kriminalbeamten freilich, wenn auch nicht dankend: Was das Landgericht da verlange, sei weder technisch noch personell zu leisten. Der Verdächtige konnte also ungehört weitertelefonieren.

Die Schlappe der Ulmer Kollegen vom Frühsommer hat Polizisten und Staatsanwälte bundesweit alarmiert. Erstmals legte ein deutsches Gericht das Lauschangriff-Urteil des Bundesverfassungsgerichts so restriktiv aus, dass es auch die Telefonüberwachung massiv einschränkt. Zwar haben sich die Strafverfolger zähneknirschend mit dem Richterspruch zum elektronischen Abhören von Privatwohnungen abgefunden.

Aus dem Arbeitskreis II der Innenministerkonferenz, in dem Polizeiangelegenheiten erörtert werden, heißt es sogar, der Lauschangriff zum Zwecke der Strafverfolgung habe "seinen Sinn und Zweck weitgehend verloren". Einige Länder erlauben ihn noch präventiv, also zur Vereitelung von Verbrechen; doch wächst auch hier der Druck, die Karlsruher Vorgaben zu übertragen.

Denen zufolge sind Wanzen in Wohnungen nur noch zulässig bei schweren Straftaten, und auch nur dann, wenn bei Gesprächen der mutmaßlichen Kriminellen mit nahen Angehörigen abgeschaltet wird. Die Polizei habe diesen "Kernbereich privater Lebensgestaltung" zu respektieren.

Baden-Württembergs Polizeipräsident Erwin Hetger stimmt dem zwar zu. Er sagt aber auch: "Diese Prinzipien einfach auf die Telefonüberwachung und andere verdeckte Maßnahmen anzuwenden, würde erhebliche Einschnitte bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität und des Terrorismus bedeuten."

Auch der Präsident des Bundeskriminalamtes, Jörg Ziercke, ist dieser Meinung: "Wenn wir 1:1 übertragen müssten, dann hätten wir bei der Strafverfolgung ein echtes Problem."

Das Entsetzen bei der Polizei ist wenig erstaunlich. Lauschangriffe waren relativ selten (so zwischen 1998 und 2001 nur 119 Mal), das Abhören von Telefonen, im Polizeijargon "TÜ" genannt, ist dagegen längst zur Standardmaßnahme geworden - was sie rechtlich eigentlich nicht sein sollte. 1990 gab es noch 2494 TÜ-Anordnungen, 2002 waren es bereits 21874.

Vor allem ist die richterliche Kontrolle vielfach zum Abnicken geworden, Fachleute beklagen den "Automatismus von Antrag und Bewilligung". Freilich schimpfte schon im vergangenen Mai Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) über "das Vorurteil, Deutschland sei Weltmeister im Lauschen".

Es werde zwar mehr abgehört, freilich deshalb, weil auch viel mehr telefoniert werde, vor allem mit Handys. Straftäter, die früher einen Deal über die Leitung daheim abwickelten, wechseln heute täglich das Mobiltelefon. Entsprechend größer ist die Zahl der abgehörten Gespräche.

Eine Art Leuchtfeuer

Die Kritiker dieser Praxis fühlen sich vom Lauschangriff-Urteil bestätigt: Der Staat, so ihr Tenor, hört auch am Telefon zu oft mit, wenn Bürger Privates bereden; er akzeptiert die Grenzen des Persönlichkeitsschutzes nicht. Die Datenschützer vor allem betrachten das Karlsruher Urteil als eine Art Leuchtfeuer.

Am Montag wollen sie auf einem Symposium in Berlin ihre Forderungen bekräftigen, bei der Telefonüberwachung zumindest die richterliche Kontrolle und die Erlaubniskriterien deutlich zu verschärfen. Auf eine völlige Angleichung haben sie sich noch nicht festgelegt.

Gemeinsam mit seinen Länderkollegen verlangt der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar, nach dem Lauschangriff gehörten "auch die Telekommunikationsüberwachung und andere Formen der verdeckten Datenerhebung auf den Prüfstand". Und tatsächlich hat die Regierungskoalition genau das vor.

"Wir sind dabei, die Telefonüberwachung gründlich zu reformieren", sagt Jerzy Montag, rechtspolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag. Er selbst meine eher, dass der absolut vor Lauschern geschützte Privatbereich auch für die Telefonüberwachung gelten solle.

Zumindest habe die Polizei die Pflicht, stets die "Umstände einer Abhöraktion zu eruieren", also zu klären, ob Frau und Kinder eines Verdächtigen anwesend sein würden oder nicht. Im Hause Zypries heißt es zurückhaltender, man denke zumindest daran, die Regelungen zu Speicherungsfristen und Benachrichtigungspflichten im Sinne des Lauschangriff-Urteils zu reformieren, alles weitere sei noch in einer Frühphase der Planung.

Das "Horror-Szenario" (so Konrad Freiberg, Chef der Gewerkschaft der Polizei), eine Übernahme aller Lauschangriff-Beschränkungen für die Telefonüberwachung, hätte im Ulmer Fall Folgendes bedeutet: Die Fahnder hätten die Bänder nicht laufen lassen und später auswerten dürfen, wie es derzeit gängige Praxis ist. So gelangt zwangsläufig viel Privates an die Ohren der Polizei.

Beim Lauschangriff muss der Horcher im Zweifel abschalten, sobald etwa die Ehefrau den Raum betritt. Übertragen auf die Telefonüberwachung hätte das bedeutet, dass die Fahnder in drei Schichten live hätten mithören müssen, stets assistiert von einem Dolmetscher, um dann schnell abzuschalten, falls die Telefonierenden allzu persönliche Dinge besprechen oder jedenfalls so tun. Und dann, sagt ein Ulmer Strafverfolger, "können wir es auch gleich bleiben lassen".

© SZ vom 6.11.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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