Landärzte:Scheiden tut weh

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Junge Mediziner können dem aufopferungsvollen Leben eines Landarztes nicht mehr viel abgewinnen. Damit die Gesundheitsversorgung dennoch auch in Zukunft sichergestellt ist, werden sich die Patienten schmerzhaft umstellen müssen. Es geht nicht anders.

Von Michaela Schwinn

Sie ist ein Hilferuf, als nichts anderes kann die Landarztquote bezeichnet werden, die Nordrhein-Westfalen nun als erstes Bundesland einführen will. Mit ihr sollen junge Mediziner für ein paar Jahre in unterversorgte Gebiete gelockt werden. Tatsächlich schließen im ganzen Land immer mehr Hausarztpraxen, weil sich für Ärzte, die aufhören, keine Nachfolger finden. Die übrig gebliebenen Mediziner sind überlastet, die Wartezimmer werden immer voller. Und der Höhepunkt ist noch nicht erreicht: Ein Drittel aller Hausärzte ist 60 Jahre oder älter. Gehen sie in Rente, hinterlassen sie eine Lücke, die kaum zu schließen ist. Wenn Nordrhein-Westfalens Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) von einer "Katastrophe" spricht, ist dies kaum übertrieben.

Das Problem muss angegangen werden, ganz klar. Aber weder Quoten noch Geldprämien werden etwas daran ändern. Ein paar Studenten wird man damit locken können, leichter einen Medizinstudienplatz zu bekommen, ein paar werden das Geld annehmen, um sich eine Praxis leisten zu können. Der große Rest aber wird weiter in Städte ziehen, sich in Kliniken oder Ärztehäusern bewerben - die Landpraxen werden verwaist bleiben.

Statt Versprechen und Lockversuchen bedarf es eines radikalen Wandels. Einer Veränderung, die unangenehm und aufwendig sein wird und mit einem schmerzlichen Abschied verbunden ist: vom Wunschbild des Hausarztes, der sich selbstlos für die Patienten aufopfert, der nachts mit der Arzttasche loszieht, der nur die Leiden anderer kennt und seine eigenen hintenanstellt.

Dieses Ideal wird mit eben diesen Ärzten verschwinden, die in den kommenden Jahren in Rente gehen. Denn die jungen Ärzte, die ihnen nachfolgen, laufen diesem Bild nicht mehr nach. Sie wollen abends ins Kino gehen, oder zum Tennis, halbtags arbeiten oder einfach mal einen Tag ausspannen. Sie wollen eine Kita in der Nähe, aber auch ein Theater und ein Museum. Sie wünschen sich geregelte Arbeitszeiten und ein festes Gehalt. Und wer kann es ihnen verübeln?

Nur mit Gemeinschaftspraxen und Versorgungszentren lässt sich die Betreuung sichern

Mit Einzelpraxen auf dem Land aber ist dieses Lebensmodell nicht vereinbar. Deswegen muss das Hausarzt-System von Grund auf überdacht werden: Statt Geld in alte Arztsitze zu investieren und deren Nachfolgern horrende Summen zu zahlen, sollten lieber Gemeinschaftspraxen geschaffen werden oder Medizinische Versorgungszentren, Häuser also, in denen Augenärzte, Gynäkologen und Allgemeinmediziner zusammenarbeiten. Sicher ist dies keine leichte Entscheidung, es ist eine Wahrheit, die bitter schmeckt und bei der vieles auf der Strecke bleiben wird. So wie die Vertrautheit, die man als Patient nur aufbauen kann, wenn man sich über Jahre kennt, wenn man einander alles erzählen kann, und der Arzt oft schon weiß, wie es einem geht, wenn man das Sprechzimmer betritt.

Trotz alldem haben die großen Zentren auch Vorteile gegenüber den traditionellen Einzelpraxen. So kann der Hausarzt schnell eine Türe weitergehen und einen Augenarzt oder Orthopäden um Rat fragen. Auch können Patienten mehrere Termine erledigen, ohne weite Strecken zurücklegen zu müssen. Große Praxen liefern keine schlechtere Versorgung, sondern eben eine andere. Eine, mit der junge Mediziner leben können, und die die medizinische Versorgung auf dem Land sicherstellt. Darauf kommt es an.

© SZ vom 07.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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