Kurt Beck:"Immer langsam mit de Leut"

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Er meidet den Angriff und ortet Gefahren - den Ton für die Basis trifft Kurt Beck dabei gut. Einen Aufbruch aber hat der SPD-Chef im ersten Jahr nicht geschafft.

Warum kann es nicht immer so schön sein wie mit Irma Schueler? Die kleine Dame mit den weißen Haaren steht, auf einen Stock gestützt, neben Kurt Beck, der zur Feier des Moments sein breitestes Lächeln aufgezogen hat.

Führt die SPD seit 2006: Kurt Beck (Foto: Foto: ddp)

"Die Mitgliedschaft in der SPD scheint ein gutes Vorzeichen dafür zu sein, sehr alt zu werden", sagt Beck. Irma Schueler ist 98. Und seit 80 Jahren in der Partei. In der Nazi-Zeit war die junge Prokuristin die einzige in ihrem Betrieb, die nicht zur NSDAP gegangen ist.

"Danke, dass du in schwerer Zeit zu einer Idee gestanden hast", sagt der Parteivorsitzende und heftet ihr eine Ehrennadel an die weiße Strickjacke. "Herzlichen Dank von der ganzen sozialdemokratischen Familie." Alle im Saal stehen und klatschen.

Gütiger Vater mit netten Worten

Solche Auftritte beherrscht Beck vortrefflich. Wie überhaupt festzuhalten ist, dass es ihm unter Genossen stets gelingt, erstmal gute Laune zu verbreiten. "Toll habt ihr das gemacht", sagt Beck seinen Hamburger Parteifreunden, die gerade mit 99 Prozent einen Spitzenkandidaten gekürt haben.

Und Hamburg sei sowieso die schönste Stadt, mit "tollen Waldgebieten", die er auf der Anreise gesehen haben will. Am nächsten Tag in Neumünster, als Beck sich für seine Verspätung entschuldigt, hört sich das so an: Er sei im Stau aufgehalten worden, weil offenbar "Tausende Hamburger nach Schleswig-Holstein wollen, und das kann man ja auch verstehen".

So ist Kurt Beck: ein gütiger Vater in der sozialdemokratischen Familie, der für jeden ein nettes Wort übrig hat. Einer, bei dem sich die Zuhörer gleich wohlfühlen. Sie ahnen ja nicht, was noch kommt.

Anfang April 2006 hat Kurt Beck den Parteivorsitz übernommen. Er sprang ein für Matthias Platzeck, dessen Gesundheit nicht mehr mitspielte. Der Vorsitz der SPD - das war für Beck neuer Höhepunkt seiner Karriere und zugleich der freiwillige Gang auf die Streckbank.

Inmitten gewaltiger Kräfte

Er muss die Partei durch die quälende Große Koalition führen. Die SPD muss verlässlich sein, aber auch eigenständig. Lebendig, aber nicht renitent. Gleichzeitig droht links eine neue Partei mit Oskar Lafontaine, der viele Sozialdemokraten verunsichert.

Es sind gewaltige Kräfte, die an einem SPD-Chef zerren. Sie sind nicht weniger geworden in einem Jahr. Im Gegenteil. Und ausgerechnet kurz vor seinem Jubiläum wirkt es, als habe Kurt Beck sie weniger unter Kontrolle denn je.

Düren in Nordrhein-Westfalen. Der Parteivorsitzende kommt an die Basis, um das neue Grundsatzprogramm der SPD zu diskutieren. Eine alte Burg gibt die Kulisse ab, im Saal, an den Backsteinmauern unter den Dachbalken, hängen historische Wappen in Schwarz und Gold. Der Raum geht über Eck.

Die auf der einen Seite sitzen, können die auf der anderen Seite nicht sehen. Nur Beck kann sie alle sehen. Die links. Und die rechts.

Wahre Abwehrschlacht

Der Vorsitzende der SPD holt weit aus. Er beschwört die 140-jährige Geschichte der Partei, den Kampf für die Schwächeren und für die Gerechtigkeit.

Von dieser Tradition dürfe sich die SPD nicht verabschieden. Im Frühjahr 2007 allerdings, das wird sehr schnell deutlich, ist dieser Kampf für Kurt Beck zu einer wahren Abwehrschlacht geworden.

Als Angreifer sieht er jene, für die Menschen nur noch "Kostenfaktoren mit Ohren" sind, wie Beck sagt. Die anonymen Finanzströme und die Hedge-Fonds.

Jene, die den Kündigungsschutz kippen, die Mitbestimmung zerstören und den Gewerkschaften "das Kreuz brechen wollen". Je länger man Kurt Beck zuhört, desto düsterer wird das Bild, das vor dem geistigen Auge entsteht.

Nicht mit Kurt Beck

Er selbst schaut auch gar nicht mehr so nett drein, sondern kriegt manchmal einen roten Kopf und schimpft und ruft: "So haben wir nicht gewettet!" Zwischendurch nimmt er ein weißes Taschentuch aus der Hosentasche und wischt sich die Mundwinkel trocken. Und weiter zählt Beck die Gegner auf: "Der Mainstream", der Zeitgeist, den er immer wieder in verächtlichem Ton zitiert.

Die sogenannten Fachleute, bei denen man immer auch schauen müsse, wer sie für ihre Expertisen bezahle. Und dann sind da einfach noch "die anderen, die uns was einreden wollen". Aber nicht mit Kurt Beck. "So haben wir nicht gewettet!"

Man könnte auf die Idee kommen, die Welt sei schlechter geworden, seitdem Kurt Beck Parteichef ist. Ob das an ihr liegt? Oder nur an Kurt Beck und wie er die Welt sieht?

Damals, vor einem Jahr, dauerte es gar nicht lange, da fand sich Beck als neuer Parteichef in Berlin ganz gut zurecht. Die SPD war für ihre Verhältnisse überaus friedlich und freute sich an den Streitereien beim Koalitionspartner, zwischen CDU und CSU, zwischen Angela Merkel und den Ministerpräsidenten, zwischen Loyalen und Unzufriedenen.

Wie ein Zweitkanzler

Beck erreichte damals das, was in der SPD gerne Augenhöhe mit der Kanzlerin genannt wird. Er ordnete seine Partei, als ein Militäreinsatz im Libanon anstand. Er legte sich auf die "seeseitige Absicherung" fest, als die Kanzlerin noch ihren Urlaub bei den Wagner-Festspielen genoss.

Letzte Fragen bei der Gesundheitsreform klärte Beck allein mit Angela Merkel. Da war nicht einmal Edmund Stoiber dabei. Kurt Beck handelte wie eine Art Zweitkanzler, der half, aus den Buchstaben des Koalitionsvertrages Politik zu machen, weil es die Kanzlerin allein nicht schaffte.

Eigentlich könnte er darüber ja reden, hier in Düren. Aber er tut es nicht, jedenfalls nicht von sich aus. Auch nicht in Hamburg. Und auch nicht in Neumünster. Kein Wort zur Gesundheitsreform. Kein Wort zur Rente mit 67. Kein Wort zur Unternehmenssteuer.

Es wirkt, als wolle Beck nichts zu tun haben mit dem, was sich in Berlin abspielt. Nein, es fehle ihm nicht an der Loyalität zur Politik der Regierung, sagt jemand aus seinem Umfeld. Schließlich wäre er sonst illoyal zu sich selbst. Er hat ja die Reformen mit durchgepaukt.

Beck spielt defensiv

Erst vor ein paar Tagen hat er trotz hitziger Diskussion über die Unternehmenssteuer im SPD-Präsidium klare Kante gezeigt: Wir machen das jetzt so! Für ihn ist die Sache damit entschieden. Also sieht er auch keinen Grund mehr, darüber zu reden.

Doch so einfach geht das nicht. Im Publikum meldet sich ein SPD-Mitglied. Der Mann erzählt, dass er in seinem Ortsverein darüber debattieren wollte, wie die SPD in ihrem Grundsatzprogramm den Begriff Gerechtigkeit definieren solle.

"Aber da haben die uns erstmal gesagt, was sie alles ungerecht finden." Es handelte sich um die Rente mit 67, um die Unternehmenssteuerreform, die Pendlerpauschale und noch einiges mehr, was die Große Koalition in Berlin beschlossen hat.

Jetzt antwortet Beck, sachlich. Jetzt spricht er über die Große Koalition und ihre Reformen, über die Kompromisse. Er erklärt sie. Aber er wirbt nicht mit der selben Leidenschaft für die Politik, die gemacht wird, wie er vorhin vor jener Politik gewarnt hat, die es zu verhindern gilt. Kurt Beck spielt defensiv.

"Die SPD japste"

Um den Jahreswechsel herum begannen die Fehler. Beck gab ein Interview, aus dem ein Satz in Erinnerung bleiben wird wie Gerhard Schröders Politik der ruhigen Hand. Beck sagte in seinem gemütlichen pfälzischen Idiom: "Immer langsam mit de Leut."

Auch wenn es nicht wirklich so gemeint war, es klang nach Verschnaufpause. In Berlin aber geschah das Gegenteil: Fast im Zwei-Wochen-Takt stimmte die Koalition über umstrittene Reformen ab. Die SPD japste. Aber die Mehrheit stand.

"Immer langsam mit de Leut" - das klang auch anders als der Vizekanzler. Franz Münteferings Mantra heißt: Bis 2009 wird regiert - und Wahlkampf kann die SPD besser. Er sagt Sätze wie: "Es gibt keinen Grund zur Entspannung." Oder: "Wir müssen die Reformen vorantreiben für mehr Arbeit."

Beck und Müntefering waren immer mal wieder anderer Meinung. Lange Zeit verkauften die Einflüsterer beider Seiten die Unterschiede als raffinierte Arbeitsteilung. Müntefering für die Kabinettsdisziplin, Beck für die Partei. Aber mittlerweile mag man das nicht mehr recht glauben, auch nicht in der SPD, wo sie raunen, das Verhältnis sei, nun ja, abgekühlt.

Alles zündete, wenig blieb

Am Montag startete die SPD eine Unterschriftenaktion für Mindestlöhne. Beck und Müntefering sind Erstunterzeichner. Es ist, wenn man so will, seit einiger Zeit ihr erster gemeinsamer Auftritt.

Kurt Beck und seine Vertrauten haben schon viele Ideen ausgeheckt. Leistungsträger, Unterschichten, Mitarbeiterbeteiligung, Bonus für Arbeit, alles zündete. Aber wenig blieb.

Arbeitsgruppen beugen sich jetzt über die populären Vorschläge und stellen fest, dass vieles leicht angekündigt, aber schwer umzusetzen ist. In Düren, an der SPD-Basis, ereignet sich eine bezeichnende Szene: Anderthalb Stunden hat Beck geredet.

Ganz zum Schluss, als Antwort auf die Frage eines Genossen, fällt ihm plötzlich die Mitarbeiterbeteiligung ein. "Aus Zeitgründen", sagt Beck, habe er dazu nichts gesagt. Er hätte erzählen können von seinem Modellversuch, den er in Rheinland-Pfalz begonnen hat. Aber er lässt es. In Hamburg vergisst er es wieder. Und in Neumünster auch.

Der Rest steht auf der Galerie

Diese Sprunghaftigkeit ist auch einigen Genossen aufgefallen. Es fehle an einer wirklichen Strategie, maulen die einen. Und je nach Interessenlage werden dafür auch die vermeintlich Schuldigen genannt: Beck selbst, der nur seinen Mainzer Mitarbeitern wirklich vertraue.

Oder das Willy-Brandt-Haus, der Generalsekretär, der Bundesgeschäftsführer, beide noch vom Vorgänger Matthias Platzeck berufen. Und manchmal auch alle zusammen. Aber es gibt auch andere Stimmen: Beck strampele sich ab, sagt einer aus der Führungsriege, und der Rest stehe nur auf der Galerie und schaue zu.

"Lasst euch nicht ins Bockshorn jagen", sagt Kurt Beck in Düren. Er ist jetzt beim Klimaschutz. Neulich hat er gesagt, Atomkraft verursache unterm Strich mehr umweltschädliches Kohlendioxid als Braunkohle. Das war ein Fehler.

Erst hat sich Beck herausgeredet: Er habe sich um der Kürze willen ein bisschen unklar ausgedrückt. Jetzt in Düren klingt das schon ganz anders: "In der Zeitung steht ja immer vieles über uns. Manches stimmt auch, aber manches ist auch ganz schön hinterlistig." Auch die Medien stehen also jetzt wieder in einer Ecke. Es ist die Ecke, wo der Mainstream steht. Und die Hedge-Fonds.

Undiplomatischer Zeitpunkt

So misslich war die Lage für Kurt Beck, als die Sache mit den Raketen begann. Es war das Wochenende, an dem Angela Merkel in Polen den Präsidenten bat, über die Stationierung einer amerikanischen Raketenabwehr in seinem Land auch mit der Nato zu sprechen.

Einen Tag später nahm Kurt Beck zu Hause in Deutschland das Ende der Diskussion schon vorweg: "Wir brauchen keine neuen Raketen." Es war das erste Mal, abgesehen vom traditionellen Streit um den EU-Beitritt der Türkei, dass sich der SPD-Chef in der Außenpolitik offen gegen die Kanzlerin stellte.

Es war einen Tag, bevor der Außenminister aus der eigenen Partei in die USA flog. Es war, kurz gesagt, ein undiplomatischer Zeitpunkt.

Alle seien sich einig, heißt es aus der SPD. Merkwürdig nur, dass keiner von den Führungsleuten sich den Satz von Beck zu eigen gemacht hat. Und auffallend auch, dass Beck nun, wo er auch hinkommt, ausführlich über die Außenpolitik im Allgemeinen und speziell über die Raketen spricht. Länger als über jedes andere Thema.

"Wann, wenn nicht jetzt"

Wieder muss Kurt Beck sich rechtfertigen. Es gehe hier um eine Grundsatzfrage und nicht um Parteitaktik. "Wann, wenn nicht jetzt, soll ich denn was dazu sagen? In zwei Jahren? Weil einer sagt, jetzt könnte das falsch ausgelegt werden?" Diejenigen, die ihn jetzt kritisierten, seien dieselben, die 2002 auch Gerhard Schröder wegen seiner Irak-Politik beschimpft hätten.

In Düren meldet sich danach ein Genosse. Warum Beck eigentlich nichts zu Afghanistan und den sechs Tornados gesagt habe, will er wissen.

Beck sagt: "Afghanistan, ja, das ist richtig. Wie immer konnte ich nur einen Teil der Themen ansprechen." Aber demnächst werde er nach Afghanistan fliegen und sich selbst ein Bild machen.

Und dann, ganz plötzlich, ist da wieder dieser Kurt Beck, der Irma Schueler für 80 Jahre SPD-Mitgliedschaft geehrt hat. Er fragt einen Genossen nach dessen Vornamen. Das Duzen, sagt Beck, das sei ja keine Kumpelei.

"Das muss die SPD immer ausmachen, dass wir nicht nur ein Wahlverein sind, sondern auch menschlich miteinander zu tun haben." Dieser kleine Einschub kommt sehr gut an in Düren, wo sie so viele Fragen haben. Da draußen im Land, da mögen sie ihn, ihren Kurt.

© SZ vom 28.03.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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