Kurswechsel:SPD für Volksabstimmung über EU-Verfassung

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Die SPD will in diesem Herbst einen Gesetzentwurf für mehr plebiszitäre Elemente in den Bundestag einbringen. Entgegen der Linie der Bundesregierung schloss Parteichef Franz Müntefering nach einer Klausursitzung der Parteiführung erstmals nicht mehr aus, dass damit auch ein Referendum über die EU-Verfassung möglich werden könnte.

Von Nico Fried

Die Parteispitze billigte zudem Eckpunkte einer Bürgerversicherung, will das Projekt aber vor 2006 nicht mehr angehen. Beim Zahnersatz will die SPD die mit der Union im Gesundheitskompromiss vereinbarte Regelung vorerst nicht umsetzen.

Müntefering sagte, wenn es gelinge in diesem Herbst das Grundgesetz so zu ändern, dass Volksbefragungen möglich würden, könne es im Frühjahr ein Referendum über die EU-Verfassung geben. Es dürfe aber keine Zeitverzögerung bei der Ratifizierung der Verfassung geben.

Die SPD werde im Herbst einen Gesetzentwurf in den Bundestag einbringen, mit dem sowohl Volksinitiativen als auch Volksbefragungen zugelassen werden sollen. Da dafür das Grundgesetz geändert werden muss, ist die Zustimmung der Union notwendig.

Die Bundesregierung, aber auch Müntefering selbst, hatten bisher ein Referendum über die EU-Verfassung sowohl wegen mangelnder rechtlicher Grundlagen als auch aus politischen Gründen abgelehnt.

Bundeskanzler Gerhard Schröder und Außenminister Joschka Fischer hatten sich bislang zum Ziel gesetzt, die Verfassung möglichst zügig von Bundestag und Bundesrat absegnen zu lassen.

Sowohl in der rot-grünen Koalition als auch in der Opposition gibt es hingegen zahlreiche Befürworter einer Volksabstimmung. Eine Reihe von anderen Mitgliedsstaaten der EU, darunter Frankreich und Großbritannien, haben Volksabstimmungen angekündigt.

Allerdings hat die Initiative des SPD-Vorstandes offenbar vor allem auch einen taktischen Hintergrund.

Bei den Sozialdemokraten geht man nicht davon aus, dass die Opposition trotz der Befürworter eines EU-Referendums die notwendigen Stimmen dafür abgeben wird, die Verfassung grundsätzlich für plebiszitäre Elemente zu öffnen. Der SPD-Führung dürfte es deshalb um den Versuch gehen, die Opposition mit der Initiative für Volksabstimmungen zu stellen.

Der SPD-Vorstand stellte sich auf der Klausur zudem einstimmig hinter das Projekt einer Bürgerversicherung im Gesundheitswesen. Schröder hatte allerdings zuvor bereits klargestellt, dass er das Vorhaben nicht mehr vor der Bundestagswahl 2006 in Angriff nehmen will.

"Entscheidungen stehen in dieser Legislaturperiode nicht an", sagte Schröder am Rande der Klausur. Müntefering sowie das Präsidiumsmitglied Andrea Nahles, die eine Projektgruppe zur Bürgerversicherung geleitet hatte, legten sich in dieser Frage nicht fest, zeigten sich aber pessimistisch über die Aussichten, mit der Union zu einer Einigung zu kommen.

Den Eckpunkten zufolge, sollen künftig alle Bürger nach und nach in das solidarische Gesundheitssystem eingegliedert werden, also auch Beamte und Selbstständige. Bisher Privatversicherte sollen aber auf Wunsch ihre bisherige Absicherung beibehalten dürfen.

Kapitaleinkünfte sollen in die Finanzierung der Bürgerversicherung einbezogen werden. Der Vorstand ließ aber offen, ob dies über Beiträge oder über einen Steueraufschlag auf Kapitaleinkünfte erfolgen soll.

Nahles sagte, die Bürgerversicherung sei gerechter als das von der CDU favorisierte Modell der einkommensunabhängigen Kopfpauschale. Sie stellte Beitragssenkungen in Höhe von etwa 1,8 Prozentpunkten binnen eines Zeitraumes von etwa zehn Jahren nach Einführung der Bürgerversicherung in Aussicht.

Müntefering warnt vor Verwaltungsaufwand

Die in der letzten Gesundheitsreform vorgesehene Ausgliederung des Zahnersatzes will die SPD wegen des zu großen Verwaltungsaufwandes nicht umsetzen. Müntefering sprach von einem "Verwaltungsmonstrum".

Alternativ schlug der SPD-Chef der Union vor, den Zahnersatz entweder vorerst als Kassenleistung zu erhalten oder ihn ähnlich wie das Krankengeld aus der paritätischen Finanzierung auszugliedern. Die Union reagierte zurückhaltend und forderte von der Regierung eine klare Festlegung.

Trotz Kritik an der Umsetzung der Reformen am Arbeitsmarkt will die SPD zudem am Hartz-IV-Gesetz festhalten. Schröder sagte, es gehe darum, den Menschen "geduldig zu erklären", warum "das notwendig ist, was wir tun".

Zugleich warnte der Kanzler vor einer neuerlichen Ost-West-Spaltung Deutschlands. Müntefering sagte, die SPD stehe für eine gesamtdeutsche Politik. Verkehrsminister Manfred Stolpe sagte der Süddeutschen Zeitung, man müsse über Härtefallregelungen nachdenken.

© SZ vom 30. August 2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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